Rn. 70
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Das gesetzliche Musterbeispiel für eine Beherrschungsmöglichkeit ist die Mehrheitsbeteiligung; sie dient daher als Maßstab für alle anderen Beherrschungsmittel, die zur Abhängigkeit i. S. d. § 17 Abs. 1 AktG führen (können). Ein Mehrheitsgesellschafter besitzt zwar keinen unmittelbaren, wohl aber einen um so wirksameren mittelbaren Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft. Zwar hat gemäß § 76 Abs. 1 AktG der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten, dennoch ist der Mehrheitsgesellschafter in der Lage, über die Wahl der von ihm abhängigen AR-Mitglieder die Zusammensetzung des Vorstands zu beeinflussen und damit für die Bestellung von Vorstandsmitgliedern zu sorgen, die sich im Zweifel nach seinen Vorstellungen richten werden. Die Aufgaben (Befugnisse) des AR haben einschneidende Auswirkungen auf die berufliche Karriere der Vorstände. So entscheidet der AR über die Verlängerung der Amtszeit der Vorstände (vgl. § 84 Abs. 1 AktG). Darüber hinaus hat er weitgehende Kompetenz bei der Festsetzung der Bezüge und damit auch für ihre Erhöhung bzw. Herabsetzung (vgl. § 87 Abs. 1 AktG). Bei wichtigem Grund kann er die Bestellung zum Vorstand widerrufen, wobei der Vertrauensentzug durch die HV, die vom Mehrheitsaktionär entscheidend beeinflusst werden kann, als ein wichtiger Grund im Gesetz (vgl. § 84 Abs. 3 Satz AktG) ausdrücklich genannt wird. Der maßgebliche Einfluss auf die Personalpolitik ist eine wichtige Präzisierung des Abhängigkeitsbegriffs. Hieraus begründet sich auch die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG, wonach von einem in Mehrheitsbesitz stehenden UN vermutet wird, dass es von dem an ihm mit Mehrheit beteiligten UN abhängig ist. Wenn ein Gesellschafter in der Lage ist, die maßgebenden Schlüsselpositionen "mit seinen Leuten" zu besetzen, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass sich die "Verwaltung des abhängigen Unternehmens in Zweifelsfällen, schon im Interesse ihrer Wiederwahl und ihres Fortkommens, nach seinen Vorstellungen richten wird" (KonzernR (2019), § 17 AktG, Rn. 7). "Maßgeblich ist hier aber letzten Endes der Einzelfall, wobei z. B. die Amtsperioden oder das Vorliegen von Allein- oder Gesamtvertretung zu gewichten sind" (BeckOGK-AktG (2021), § 17 AktG, Rn. 32).
Rn. 71
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Im Schrifttum wurde lange die Frage diskutiert, ob die Abhängigkeit durch jede herrschende Einflussnahme auf das UN begründet werden könne, sei es durch Einwirkungen von innen oder von außen, sei es auf rechtlicher oder tatsächlicher Grundlage (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 18, m. w. N.). Dahinter steht die Tatsache, dass UN, die stets in einem gesellschaftlichen Umfeld agieren, nie frei sind von gesetzlichen, behördlichen, volkswirtschaftlichen oder branchenbedingten Rahmenbedingungen, innerhalb deren Grenzen sie sich bewegen müssen. Daneben treten marktbedingte Abhängigkeiten durch wirtschaftliche Machtpositionen, z. B. von Kreditgebern, Lieferanten, Abnehmern sowie Lizenzgebern. Nach heute ganz h. M. wird eine rein wirtschaftliche oder tatsächliche, d. h. gesellschaftsrechtliche nicht abgesicherte Abhängigkeit, z. B. aufgrund bloßer Liefer- oder Kreditbeziehungen, zur Begründung der Abhängigkeit abgelehnt (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 21; WP-HB (2021), Rn. C 96f.; KonzernR (2019), § 17 AktG, Rn. 15f.; sodann auch die ausführliche Diskussion bei Koppensteiner, KK-AktG (2011), § 17, Rn. 58ff.).
Der beherrschende Einfluss i. S. d. § 17 AktG muss gesellschaftsrechtlich bedingt oder zumindest vermittelt sein. "Eine durch schuldrechtliche Verträge (Kreditverträge, Lieferverträge etc.) begründete wirtschaftliche Abhängigkeit allein genügt nicht" (HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 41). Allenfalls in Kombination mit gesellschaftsrechtlicher Einflussmöglichkeit soll [die, d.Verf.] wirtschaftliche Machtposition als "kombinierte Beherrschung" berücksichtigt werden können; aus Gründen der Rechtssicherheit sollte diese Figur aber nur zurückhaltend und in klaren Ausnahmefällen anerkannt werden (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 8). Denn der Zweck der Vorschrift liegt allein darin, einen Schutz gegen nachteilige Einwirkungen auf die UN-Führung unter Ausnutzung spezifischer gesellschaftsrechtlicher Möglichkeiten zu gewährleisten. Zweck der Norm kann es nicht sein, das UN vor Gefahren auf dem Markt zu schützen, die jedem auf dem Markt auftretenden UN durch Einflussnahme fremder wirtschaftlicher Macht drohen (vgl. WP-HB (2021), Rn. C 96), "auch nicht in den Sonderfällen der Just-in-Time-Lieferbeziehungen oder der Franchise-Systeme" (HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 41; vgl. so auch Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 21; ebenso eindeutig AktG-GroßKomm. (2017), § 17, Rn. 40f.). Allerdings sind auch hier Ausnahmekonstellationen denkbar, z. B. im Falle erheblicher Überschuldungen oder wenn die Überlebensfähigkeit des UN nur durch Bürgschaften gesichert ist. "Hier kann die strukturelle Verquickung mit dem Hauptgeldgeber die ansonsten nicht lebensfähige Aktienge...