Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 44
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nach Maßgabe des § 5 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) EStG ist i. R.d. für Zwecke der Besteuerung durchzuführenden BV-Vergleichs vorbehaltlich abweichend ausgeübter steuerlicher Wahlrechte das BV anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen GoB auszuweisen ist. Mit Blick auf die Bilanzierung dem Grunde nach bindet der Grundsatz der Maßgeblichkeit die steuerrechtliche Gewinnermittlung an die handelsrechtlichen Bilanzansätze, soweit diese Ausdruck handelsrechtlicher GoB sind und die Maßgeblichkeitsgrenzen (vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 95ff.) dem nicht entgegen stehen. Handelsrechtliche Aktivierungs- und Passivierungsgebote ebenso wie handelsrechtliche Aktivierungs- und Passivierungsverbote sind demgemäß vorbehaltlich entgegenstehender steuerlicher Regelungen materiell grds. für den steuerlichen Bilanzansatz maßgeblich. Steuerliche Ansatzwahlrechte können gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG steuerlich autonom ausgeübt werden.
Rn. 45
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Bilanzsteuerrechtliche Grundeinheit und Regelinhalt der Aktivseite der StB ist das WG, der HB dagegen der VG. Die begriffliche Differenzierung zwischen handelsrechtlichem "VG" und steuerrechtlichem "WG" führt unmittelbar zur Frage nach der Bedeutung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes für die Aktivierungsfähigkeit. Die Differenzierung sollte im Ursprung verdeutlichen, dass "steuerrechtlich eine weitergehende Aktivierungspflicht als handelsrechtlich" (RFH, Urteil vom 27.03.1928, I A 470/27, RStBl. 1928, S. 260; vgl. auch Moxter (2007), S. 7f.) bestehe. Entsprechend der durch den Gesetzgeber im Zuge des Steueränderungsgesetzes (StÄndG) 1969 vom 18.08.1969 (BGBl. I 1989, S. 1211ff.) nachdrücklich zum Ausdruck gebrachten Bindung der Ansatzentscheidung in der StB an diejenige in der HB durch § 5 Abs. 1 EStG (vgl. BT-Drs. V/3187, S. 3) ist davon auszugehen, dass nach handelsrechtlichen GoB zu beurteilen ist, ob ein WG vorliegt ((abstrakte Aktivierungsfähigkeit); vgl. BFH, Urteil vom 26.02.1975, I R 72/73, BStBl. II 1976, S. 13; Moxter (2007), S. 7f.). VG- und WG-Begriff werden in gleicher Weise durch die GoB geprägt. Mit der ständigen Rspr. (vgl. BFH, Beschluß vom 02.03.1970, GrS 1/69, BStBl. II 1970, S. 382; BFH, Beschluß vom 26.10.1987, GrS 2/86, BStBl. II 1988, S. 348; BFH, Beschluss vom 07.08.2000, GrS 2/99, BStBl. II 2000, S. 632) und h. M. (vgl. Ballwieser, BFuP 1990, S. 477 (483f.); Beisse, BB 1980, S. 637; Schulze-Osterloh, StuW 1991, S. 284 (286); Briesemeister (2006), S. 201) ist hieraus das Erfordernis einer Inhaltsidentität abzuleiten – entsprechend des Maßgeblichkeitsgrundsatzes mit dem materiell-rechtlichen Inhalt eines VG. Nach dieser Grundwertung kann der Begriff des WG ohne Abweichungen spezifizierender Normen nicht weitergehen als der Begriff des VG.
Rn. 46
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Die die konkrete Bilanzierungsfähigkeit berührende Frage der Geltung des Maßgeblichkeitsgrundsatzes im Hinblick auf die personelle Zurechnung von WG spricht zugleich das Konkurrenzverhältnis der Zurechnungsvorschriften der §§ 242 Abs. 1, 246 Abs. 1 i. V. m. § 5 Abs. 1 EStG und § 39 AO an. Die personelle Zurechnung von VG wird handelsrechtlich durch § 242 Abs. 1 bestimmt, demzufolge der Kaufmann sein "Vermögen" auszuweisen hat; § 246 Abs. 1 sieht darüber hinaus vor, dass VG in der Bilanz des Eigentümers auszuweisen sind, es sei denn, sie sind einem anderen "wirtschaftlich zuzurechnen". Das Steuerrecht enthält mit § 39 AO eine eigenständige Zurechnungsnorm, die bestimmt, dass von der Zurechnung zum (zivilrechtlichen) Eigentümer bilanziell dann abzuweichen ist, wenn ein anderer die tatsächliche Herrschaft über ein WG in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche ND von der Einwirkung auf das WG wirtschaftlich ausschließen kann. Die jüngere Rspr. lässt die Frage der Maßgeblichkeit handelsrechtlicher Zurechnungsvorgaben mit Hinweis auf weitestgehend fehlende inhaltliche Divergenzen in den jeweiligen Entscheidungsfällen z. T. explizit offen (vgl. BFH, Urteil vom 01.02.2012, I R 57/10, BStBl. II 2012, S. 407; BFH, Urteil vom 25.04.2006, X R 57/04, BFH/NV 2006, S. 1819; BFH, Urteil vom 21.12.2017, IV R 56/16, BFH/NV 2018, S. 597). Insoweit die Rspr. den Vorrang handelsrechtlicher GoB i. V. m. § 5 Abs. 1 EStG gegenüber § 39 AO vereinzelt explizit anerkennt, wird typischerweise mit Verweis auf die Inhaltsgleichheit der konkurrierenden Normen gleichwohl auf den Regelungsgehalt des § 39 AO rekurriert (vgl. z. B. BFH, Urteil vom 14.05.2002, VIII R 30/98, BStBl. II 2002, S. 741; BFH, Urteil vom 15.04.1992, III R 65/91, BFH/NV 1993, S. 431; BFH, Urteil vom 12.09.1991, III R 233/90, BStBl. II 1992, S. 182; Hübschmann/Hepp/Spitaler (2018), § 39 AO, Rn. 17: "Verweisungsschleife").
Rn. 47
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Dem in § 246 Abs. 1 Satz 2 im Zuge des BilMoG erstmals kodifizierten Grundsatz der wirtschaftlichen Vermögenszurechnung wurde durch den Gesetzgeber lediglich deklaratorischer Charakter beigemessen (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. ...