Rn. 89

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Die Vermutung der Abhängigkeit basiert auf der Leitidee, dass ein mit Mehrheit beteiligtes UN aufgrund seiner gesellschaftsrechtlichen Stellung unmittelbar die Aufsichtsorgane und mittelbar die geschäftsführenden Organe bestimmen kann und damit einen beherrschenden Einfluss auf das in Mehrheitsbesitz stehende UN zu gewinnen vermag (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 84). Soll diese Abhängigkeit widerlegt werden, dann muss der Nachweis erbracht werden, dass aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise nicht die Möglichkeit besteht, die Zusammensetzung des AR und damit mittelbar die der Vorstände zu beeinflussen. Dieser Nachweis muss sich auf eine gesellschaftsrechtliche oder vertragliche Grundlage stützen (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 86). Als Mittel zur Widerlegung eines beherrschenden Einflusses kommen daher insbesondere Satzungsregeln, Stimmrechtsbeschränkungen aufgrund eines Stimmbindungsvertrags sowie Entherrschungsverträge in Betracht (vgl. AktG-GroßKomm. (2017), § 17, Rn. 76; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 98ff.; Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 46ff.; Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 22). Da im Falle einer Kap.-Mehrheit allein der Nachweis einer fehlenden Stimmrechtsmehrheit zur Widerlegung der Abhängigkeit jedoch nicht ausreicht (vgl. HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 87), ist darüber hinaus noch darzulegen und ggf. zu beweisen, dass auch keine sonstigen Beherrschungsmittel vorliegen. "Entscheidend ist stets eine Gesamtschau aller Umstände" (MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 98 (Herv.d. d.Verf.); vgl. zudem BAG, Beschluss vom 26.08.2020, 7 ABR 24/18, ZTR 2021, S. 158ff., zur Nachweispflicht bei fehlender Beherrschung; sehr großzügig OLG Düsseldorf, Beschluss vom 04.07.2013, I-26 W 13/08, AG 2013, S. 720ff., zum Nachweis des fehlenden Gebrauchs von Herrschaftsmacht). Liegen (enge) personelle Verflechtungen zwischen dem Vorstand des herrschenden UN und dem AR des beherrschten UN vor, ist eine Widerlegung einer Abhängigkeit i. d. R. unmöglich (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 02.06.2017, 4 TaBV 71/16 (IWW-Abrufnummer: 195 360)). Auch die Möglichkeit der Personenauswahl für ­Organe von Beteiligungs-UN eines Landkreises spricht gegen die Widerlegung der Abhängigkeit (vgl. LAG Hamm, Beschluss vom 04.05.2018, 13 TaBV 76/16, NZA-RR 2018, S. 434ff.).

 

Rn. 90

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Zur Widerlegung der Vermutung kommen vorrangig Satzungsregeln in Betracht, die Beschlussmehrheiten vorsehen, die höher sind als das Stimmgewicht des Mehrheitsaktionärs (vgl. KK-AktG (2011), § 17, Rn. 104). Dabei müssen diese Regeln nicht sämtliche Beschlüsse einbeziehen. Entscheidend ist, dass die Satzung für alle wichtigen Beschlüsse eine qualifizierte Mehrheit vorsieht, die das mit Mehrheit beteiligte UN wiederum allein nicht zu erreichen vermag. Dies gilt v.a. für die Wahlen zum AR (vgl. § 101 AktG) und die Beschlussfassung über den Vertrauensentzug von Vorstandsmitgliedern i. S. d. § 84 Abs. 4 Satz 2 AktG (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 21; KK-AktG (2011), § 17, Rn. 104).

 

Rn. 91

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Neben den Satzungsregeln kommen auch Stimmrechtsbindungsverträge zur Widerlegung der Vermutung in Betracht (vgl. KK-AktG (2011), § 17, Rn. 107; Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 22; AktG-GroßKomm. (2017), § 17, Rn. 77; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 100). Hierbei handelt es sich um Absprachen mit anderen Gesellschaftern, Gesellschaftergruppen oder Dritten, wobei die typische Funktion des Mehrheitsgesellschafters, nämlich sich bei AR-Wahlen durchsetzen zu können, verhindert werden soll. Auch eine Einflussnahme bei der Abberufung von AR-Mitgliedern, der Gewinnverwendung ebenso wie der Entscheidung von Geschäftsführungsmaßnahmen sollte ausgeschlossen werden. Im Einzelnen können diese Verträge verschiedene Inhalte haben. Zur Widerlegung der Vermutung sind nur solche Verträge geeignet, in denen vereinbart wird, dass Stimmrechte nur in dem Umfang ausgeübt werden dürfen, dass sie keine Mehrheit mehr bei wesentlichen Entscheidungen ergeben (vgl. KK-AktG (2011), § 17, Rn. 107). Bei Gesellschaften mit einem größeren Kreis von Anteilseignern sollte die Beschränkung so bemessen sein, dass auch eine Präsenzmehrheit nicht entstehen kann (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 101).

 

Rn. 92

Stand: EL 37 – ET: 09/2022

Nach h. M. werden auch Abhängigkeitsausschluss- oder Entherrschungsverträge als grds. geeignet zur Widerlegung der Vermutung angesehen (vgl. Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 46; Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 22; KK-AktG (2011), § 17, Rn. 109ff.; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 100ff.; WP-HB (2021), Rn. C 123ff.; AktG-GroßKomm. (2017), § 17, Rn. 77ff.; HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 62f.). Etwas Abweichendes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des BGH vom 22.09.2020, wonach eine Aufhebung der konzernrechtlichen Verknüpfung eines TU mit seinem MU aufgrund eines Entherrschungsvertrags im Kap.-Marktrecht verneint wurde (vgl. BGH, Urteil vom 22.09.2020, II ZR 399/18, NZG 2020, S. 1349ff., unter Rekurs auf die s...

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