Dr. Matthias Heiden, Dr. Christian F. Bosse
Rn. 75
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die Tatsache, dass die neu zu schaffende Norm – unabhängig von ihrer endgültigen Platzierung im Gesetz – grds. auch Nicht-AG erfassen sollte, wird bereits durch einen Blick auf den ersten Entwurf der interministeriellen Arbeitsgruppe deutlich, der – wenn auch durch seine systematische Fehlstellung unter den bilanziellen Normen – alle KapG betroffen hätte (vgl. HdR-E, AktG § 91, Rn. 60).
Rn. 76
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Der Entwurf der interministeriellen Arbeitsgruppe fand Eingang in die anfänglichen Überlegungen der Koalitionsgruppe "Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich/Banken", die sich anschließend formiert hatte und deren Arbeit im RefE mündete. In den Sitzungen vom 28.03., 26.04. und 10.05.1996 wurde das Thema "Risikomanagement" behandelt. "Hauptdiskussionspunkt war – bei grds. Zustimmung zu dem Anliegen als solches – die Vermeidung weiterer Belastungen für die Unternehmen und die Nicht-Regelung für GmbH (aus diesem Grunde und weil man das GmbH Gesetz textuell schlank halten wollte)" (Seibert, in: FS Bezzenberger (2000), S. 427 (432)). Im KonTraG wurde letztendlich auf eine analoge Regelung im GmbHG oder GenG verzichtet. In der amtlichen RegB vom 27.04.1998 heißt es: "In das GmbHG soll keine entsprechende Regelung aufgenommen werden. Es ist davon auszugehen, dass für Gesellschaften mit beschränkter Haftung je nach ihrer Größe, Komplexität ihrer Struktur etc. nichts anderes gilt und die Neuregelung Ausstrahlungswirkung auf den Pflichtenrahmen der Geschäftsführer auch anderer Gesellschaftsformen hat" (BT-Drs. 13/9712, S. 15). Implizit wird seitens des Gesetzgebers somit unterstellt, dass die Konkretisierung der Leitungspflicht des AG-Vorstands auch vor Einführung dieser Norm zur allg. Geschäftsführungspflicht anderer Rechtsformen gezählt wurde (vgl. Gschrey, ZfgG 1998, S. 215 (216ff.); Seibert, in: FS Bezzenberger (2000), S. 427 (438)). So wird im Schrifttum unter Berufung auf die Zugehörigkeit zu den Sorgfaltspflichten eines GmbH-Geschäftsführers gemäß § 43 Abs. 1 GmbHG bzw. § 34 Abs. 1 GenG für eG – vielfach ohne nähere Auseinandersetzung mit dem vorgenannten Hinweis des Gesetzgebers in seiner RegB – eine gleichlautende Verpflichtung zur Einrichtung entsprechender Organisationsmaßnahmen unterstellt (vgl. ADS (2001), § 91 AktG, Rn. 4; Altmeppen, ZGR 1999, S. 291 (301f.); Behre/Nöcker, BBK 2000, S. 1229; Bitz (2000), S. 3; Bockslaff, NVersZ 1999, S. 104 (109); Gerds, AgrB 2016, S. 38 (39); Hahn/Webe/Friedrich, BB 2000, S. 2620; Hopp (2001), S. 16; Keitsch (2000), S. 16f.; Klar, DB 1997, S. 685 (686); Kuhl/Nickel, DB 1999, S. 133; Löhr, StB 2000, S. 312; Martin/Bär (2002), S. 39ff.; Messmer/Saliger, VersR 1999, S. 539ff.; Pollanz, DB 1999, S. 1277; Scharpf, DB 1997, S. 737ff.; so wohl auch Remme/Theile, GmbHR 1998, S. 909 (914)). Des Weiteren finden sich demgegenüber Stimmen, die für eine vollständige Ablehnung einer analogen Anwendung plädieren (vgl. hierzu Daum (2001), Rn. 2).
Rn. 77
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Aus der Ausstrahlungswirkung kann jedoch nach hier vertretener Auffassung keine uneingeschränkte Übertragung dieser Organisationsanforderung auf GmbH, eG oder andere Nicht-AG hergeleitet werden:
Rn. 78
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Rechtswissenschaftlich dient die Ausstrahlungswirkung (vgl. grundlegend Canaris (1999), S. 30, der das Instrument der Ausstrahlung als "vage" bezeichnet; Wiedemann, ZGR 1999, S. 857 (865)) zur Beschreibung eines Vorgangs unterhalb der Analogiebildung (vgl. Larenz (1991), S. 381ff.). Es handelt sich nicht um einen Begriff der Methodenlehre. Entstehende Rechtsfragen sollen in ähnlichem oder gleichem Sinne entschieden werden. Der Auffassung, dass sich allein aus einem Rechtsformwechsel keine Änderung der Risikolage ergibt und somit zu stellende Organisationsanforderungen rechtsformunabhängig zu beurteilen sind (vgl. Blass, ZfV 1999, S. 297 (298)), kann grds. zugestimmt werden, da eine systematische Geschlossenheit des Rechts anzustreben ist. Hierin ist gleichzeitig eine mögliche Gefahr einer Ausstrahlungswirkung zu sehen, da sie dafür sorgen kann, dass die Regelung entgegen ihrer Intention einer Ausdehnung in Regelungsbereiche unterliegt, die nicht erfasst werden sollten und somit die Regelungsdichte erhöht würde (vgl. insgesamt Drygala/Drygala, ZIP 2000, S. 297 (300), m. w. N.; ferner auch Lerche, in: FS Odersky (1996), S. 215 (227f.)).
Rn. 79
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Der Gesetzgeber hat bewusst auf analoge Normen in anderen Gesetzen verzichtet (vgl. Ernst, WPg 1998, S. 1025 (1027)), auf die Ausstrahlungswirkung hingewiesen und sowie auf die Ausgestaltung in Abhängigkeit verschiedener individueller Parameter verwiesen (vgl. auch Jacob, WPg 1998, S. 1043 (1044f.)). Diese Aspekte stehen einer uneingeschränkten Übertragung und somit einer Erhöhung der Regelungsdichte für andere Gesellschaftsformen entgegen (vgl. im Folgenden ausführlich HdJ, Abt. VI/9 (2001), Rn. 19; Drygala/Drygala, ZIP 2000, S. 297ff.; Glaum (2002), S. 462; Zimmer/Sonne...