Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 9
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Ausgleichs- und Berichtspflichten der §§ 311ff. AktG richten sich nur an herrschende "UN". Beherrschende Aktionäre, die selbst keine Unternehmer sind, werden nicht erfasst. Eine Erstreckung auf alle beherrschenden Gesellschafter ist weder mit dem eindeutigen Wortlaut noch mit dem System des Aktienkonzernrechts, das auf dem UN-Begriff aufbaut, zu vereinbaren. Ziel der Anknüpfung des Aktienkonzernrechts an den UN-Begriff in den §§ 15, 311ff. AktG ist es, unter Ausklammerung von Privatgesellschaftern nur solche Gesellschafter zu erfassen, bei denen wegen ihrer unternehmerischen Betätigung außerhalb der Gesellschaft die Gefahr eines Interessenkonflikts besteht. Nur in diesen Konfliktsituationen ist die Schädigung der Gesellschaft zur Realisierung der anderweitigen als vorrangig gewerteten unternehmerischen Betätigung zu befürchten (vgl. zum Diskussionsstand im Schrifttum ADS (1997), § 15 AktG, Rn. 1ff.; KonzernR (2022), § 15 AktG, Rn. 6ff.; Hüffer-AktG (2022), § 15, Rn. 10ff.; Schmidt (2002), S. 936f.). Die Rspr. stuft als Unternehmer i. S. d. Konzernrechts dementsprechend all jene Gesellschafter ein, bei denen zu ihrer Beteiligung an der Gesellschaft wirtschaftliche Interessenbindungen außerhalb der Gesellschaft hinzutreten, die nach Art und Intensität die ernsthafte Sorge begründen, er könne wegen dieser Bindung seinen aus der Mitgliedschaft folgenden Einfluss auf die AG, KGaA bzw. SE zu deren Nachteil ausüben (vgl. nur BGH, Urteil vom 23.09.1991, II ZR 135/90, BGHZ 115, S. 187 (189ff.); BGH, Urteil vom 09.01.1992, IX ZR 165/91, BGHZ 117, S. 8 (18); BGH, Beschluß vom 17.03.1997, II ZB 3/96, BGHZ 135, S. 107 (113); BGH, Urteil vom 18.06.2001, II ZR 212/99, BGHZ 148, S. 123 (125); BAG, Urteil vom 08.03.1994, 9 AZR 197/92, BAGE 76, S. 79 (83f.); BFH, Urteil vom 23.03.2011, X R 45/09, NZG 2011, S. 916 (919f.)).
Rn. 10
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Natürliche Personen können danach durchaus Unternehmer sein (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1993, II ZR 89/93, NJW 1994, S. 446; BGH, Urteil vom 13.10.1977, II ZR 123/76, BGHZ 69, S. 334 (338)). Für diese Qualifikation müssen sie außerhalb der Gesellschaft kein eigenes UN betreiben. Die Bestimmungen des Konzernrechts sind vielmehr auch dann anzuwenden, wenn die natürliche Person ihre unternehmerischen Aktivitäten als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter in anderen Gesellschaften ausübt (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1993, II ZR 89/93, NJW 1994, S. 446; BAG, Urteil vom 08.03.1994, 9 AZR 197/92, BAGE 76, S. 79 (83f.)). Der moderne Unternehmerbegriff versteht sich als Oberbegriff, der sowohl die gewerbliche als auch freiberufliche Tätigkeit umfasst (vgl. auch § 14 Abs. 1 BGB). Bedeutsam ist dies in den Freiberuflerkonzernen, wie sie sich auf dem Dienstleistungssektor, namentlich auf dem Sektor der rechts- und wirtschaftsberatenden Berufe unter Einbeziehung der UN-Beratung, entwickeln (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.1994, II ZR 237/93, NJW 1994, S. 3288 (3290); BGH, Urteil vom 27.03.1995, II ZR 136/94, NJW 1995, S. 1544 (1545)).
Rn. 11
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Rechtsform des UN ist ohne Bedeutung. Auch Stiftungen oder Idealvereine kommen als Konzernspitze in Betracht. Während den Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden) nach früher h. M. (vgl. dazu MünchKomm. AktG (1973), § 311, Rn. 84, m. w. N.) die Unternehmereigenschaft abgesprochen wurde, hat sich in der Zwischenzeit die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Gefahren, denen das Konzernaktienrecht begegnen will, bei der Beherrschung einer Gesellschaft durch die öffentliche Hand in zumindest gleicher, wenn nicht sogar gesteigerter Form bestehen. Nach inzwischen ständiger Rspr. und herrschender Lehre sind die Gefahren der politisch motivierten Einflussnahme derart ausgeprägt, dass der Unternehmerbegriff bei der Beteiligung der öffentlichen Hand sogar besonders weit gefasst werden muss. Die Gebietskörperschaften sind wegen dieser Sonderinteressen stets als UN zu werten, selbst wenn sie nur an einer einzigen AG, KGaA bzw. SE beteiligt sind. Der Verfolgung unternehmerischer Interessen außerhalb der abhängigen Gesellschaft bedarf es bei ihnen nicht (vgl. BGH, Urteil vom 17.03.1997, II ZB 3/96, BGHZ 135, S. 107 (113f.); BGH, Urteil vom 03.03.2008, II ZR 124/06, BGHZ 175, S. 365 (368); BGH, Urteil vom 31.05.2011, II ZR 141/09, BGHZ 190, S. 7 (19); ebenso Schmidt, in: FS Lutter (2000), S. 1167 (1180); Henssler/Strohn (2021), § 15 AktG, Rn. 7; KonzernR (2022), § 15 AktG, Rn. 33f.; Habersack, ZIP 2006, S. 1327 (1329); kritisch zu dieser Konzeption: Mülbert, ZHR 1999, S. 1ff.). Wird auf den Abschluss eines BHV verzichtet, trifft eine Gebietskörperschaft demnach bei einer abhängigen AG, KGaA bzw. SE die Verpflichtung zum Nachteilsausgleich nach den §§ 311–318 AktG (vgl. BGH, Urteil vom 03.03.2008, II ZR 124/06, BGHZ 175, S. 365 (368); BGH, Urteil vom 31.05.2011, II ZR 141/09, BGHZ 190, S. 7 (19f.)). Die abhängigen UN müssen entsprechend einen Abhängigkeitsbericht erstellen (vgl. zum Ganzen Raiser, ZGR 1996, S....