Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch, Prof. Dr. Sascha Mölls
Rn. 15
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Verletzung von Gliederungsvorschriften führt zur Nichtigkeit des festgestellten JA unter den Voraussetzungen des § 256 Abs. 4 AktG. Als eine Verletzung von Gliederungsvorschriften gelten Verstöße gegen die Vorschriften über die Gliederung des JA sowie die Nichtbeachtung von Formblättern i. S. d. § 330, nach denen der JA zu gliedern ist. Nach § 256 Abs. 4 AktG haben solche Gliederungsfehler die Nichtigkeit des JA zur Folge, wenn durch den Gliederungsverstoß seine Klarheit und Übersichtlichkeit wesentlich beeinträchtigt ist. Dabei dienen die Gliederungsvorschriften überwiegend dem Gläubigerschutz, so dass ihre Verletzung grds. auch ein Fall des Abs. 1 Nr. 1 ist (vgl. MünchKomm. AktG (2021), § 256, Rn. 50). Die Regelung des Abs. 4 ist aber gegenüber Abs. 1 Nr. 1 als Interpretationsnorm anzusehen, die den Anwendungsbereich des Abs. 1 Nr. 1 in der Weise beschränkt, dass die Nichtigkeitsfolge im Fall der Verletzung einer Gliederungsvorschrift nur unter der einschränkenden Voraussetzung eingreift, dass die Klarheit und Übersichtlichkeit des JA (vgl. § 243 Abs. 2) wesentlich beeinträchtigt ist. Als Gliederungsvorschriften, deren Missachtung nach Maßgabe des § 256 Abs. 4 AktG zur Nichtigkeit führen kann, sind insbesondere die folgenden Regelungen zu beachten:
Rn. 16
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Ein Gliederungsverstoß liegt grds. dann vor, wenn die Bilanz oder GuV nicht so differenzierend wie gesetzlich vorgeschrieben aufgegliedert ist. Ein Gliederungsverstoß liegt aber auch vor, wenn Aktiv- oder Passivposten an der falschen Stelle angeführt sind oder das Saldierungsverbot des § 246 Abs. 2 nicht beachtet worden ist (vgl. LG München (I), Urteil vom 20.12.2007, 5 HK O 11 783/07, DB 2008, S. 343; LG Mainz, Urteil vom 16.10.1990, 10 HO 57/89, DB 1990, S. 2361ff.; LG Stuttgart, Urteil vom 11.04.1994, 6 KfH 0 269/93, AG 1994, S. 473f.; Hüffer-AktG (2022), § 256, Rn. 23, m. w. N.). Die Nichtbeachtung von Formblättern, welche durch Rechts-VO auf der Grundlage des § 330 zur Gliederung des JA vorgeschrieben sind, führt unter der Voraussetzung der wesentlichen Beeinträchtigung der Klarheit und Übersichtlichkeit des JA ebenfalls zur Nichtigkeit desselben. Als VO sind in diesem Zusammenhang bspw. die RechVersV oder die KHBV zu erwähnen.
Rn. 17
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Das Merkmal der wesentlichen Beeinträchtigung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, den es auszulegen gilt. Die grundlegende Motivation der Regelung hat zum Inhalt, dass nicht jede Verletzung von Gliederungsvorschriften unter § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG fällt und so die Nichtigkeit des JA zur Folge haben soll. Lediglich schwerwiegende Gliederungsfehler sollen die Nichtigkeit des JA herbeiführen. Bei der Prüfung, ob eine wesentliche Beeinträchtigung der Darstellung vorliegt, muss zunächst differenziert werden zwischen Gliederungsverstößen, welche allein durch die Bedeutung der verletzten Norm als wesentliche Beeinträchtigung angesehen werden müssen, und solchen Verstößen, bei denen erst der Umfang des Verstoßes eine wesentliche Beeinträchtigung nach sich ziehen kann (vgl. NK-AktG (2019), § 256, Rn. 27). So ist z. B. die in Anwendung des § 266 einzuhaltende Gliederungsreihenfolge der in der Bilanz auszuweisenden Aktiv- oder Passivposten weniger bedeutungsvoll als die richtige Zuordnung von VG zu den einzelnen Gliederungspunkten, etwa die Einordnung eines VG als UV statt als AV. Die Beurteilung, ob eine Gliederungsvorschrift eine so bedeutende Vorschrift ist, dass alleine dadurch bei einem Verstoß gegen sie eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. d. § 256 Abs. 4 AktG gegeben ist, hängt auch vom Einzelfall ab. So regelt § 284 Abs. 3 z. B., in welcher Form die Entwicklung der einzelnen Posten des AV darzustellen ist. Die Bedeutung dieser Vorschrift für die Klarheit und Übersichtlichkeit des JA ist bei einem Produktions-UN mit umfangreichem AV höher einzuschätzen als bei einem Dienstleistungs-UN (vgl. Bonner-HdR (1986), § 256 AktG, Rn. 19).
Wenn ein Gliederungsfehler nicht schon aufgrund der Bedeutung der verletzten Vorschrift eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. d. § 256 Abs. 4 AktG nach sich zieht, kommt es auf die Schwere des Verstoßes an. Hier spielt v.a. die betragsmäßige Auswirkung des Gliederungsverstoßes eine Rolle. In Bezug auf die Größenordnung des Verstoßes ist nicht die absolute Höhe des Betrags maßgeblich; vielmehr ist bei der Prü...