Dr. Klaus-Hermann Dyck, Dr. Stephan Scholz
Rn. 6
Gemäß § 274a Nr. 4 (i. d. F. des BilRUG) sind kleine KapG davon befreit, latente Steuern nach § 274 abzugrenzen. Ausweislich der RegB zum BilMoG sollen kleine KapG auf die Ermittlung und den Ausweis latenter Steuern verzichten können (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 68). Eine freiwillige Anwendung ist jedoch zulässig (vgl. Oser et al., WPg 2009, S. 573 (581)).
Die Befreiungsmöglichkeit entbindet kleine KapG jedoch nicht vom Ansatz passiver latenter Steuern, sofern die Voraussetzungen für den Ansatz einer Rückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 vorliegen. Umstritten ist allerdings, wann latente Steuern die Tatbestandsvoraussetzungen für den Ansatz einer Verbindlichkeitsrückstellung erfüllen (vgl. hierzu auch grundlegend, mit im Folgenden z. T. a. A. HdR-E, HGB § 274, Rn. 600ff.).
Rn. 7
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nach Auffassung der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) liegt eine wirtschaftlich im abgelaufenen GJ entstandene Verbindlichkeit nur ausnahmsweise in den Fällen vor, in denen die Ansatz- oder Bewertungsdifferenz auf steuerlichen Tatbeständen beruht, mit denen der Steuergesetzgeber eine Steuerstundung bezweckt (vgl. BStBK, DStR 2012, S. 2296 (2297, dortige Rn. 5)). Dies liege bspw. vor, wenn die Besteuerung handelsrechtlich realisierter Erträge durch Bildung einer steuerfreien Rücklage oder außerbilanzielle Korrekturen in die Zukunft verlagert wird (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 274a HGB, Rn. 42). Solchenfalls sei die resultierende Rückstellung ggf. nach § 253 Abs. 2 Satz 1 abzuzinsen. Eine Saldierung mit aktiven latenten Steuern wird als unzulässig angesehen.
Rn. 8
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Demgegenüber vertritt das IDW die Auffassung, dass Differenzen zwischen handelsrechtlichen und steuerlichen Wertansätzen, deren Abbau künftig voraussichtlich zu einer Steuerbelastung führt, zum Abschlussstichtag eine wirtschaftliche Belastung darstellen. Die Ansatzkriterien des § 249 Abs. 1 Satz 1 seien insofern erfüllt (vgl. IDW RS HFA 7 (2017), Rn. 26). Für quasi-permanente Differenzen sind jedoch nach den für Rückstellungen geltenden Grundsätzen keine latenten Steuern zu bilden, da insoweit die Umkehr dieser Differenzen unsicher sowie die Wahrscheinlichkeit einer künftigen Verpflichtung nicht hinreichend konkretisiert ist. Aufrechenbare aktive latente Steuern (u. a. aus steuerlichen Verlustvorträgen) dürfen rückstellungsmindernd berücksichtigt werden, da insofern keine Vermögensbelastung bestehe. Auf eine Abzinsung könne aufgrund des Rechtsgedankens des § 274 Abs. 2 Satz 1 verzichtet werden (vgl. IDW RS HFA 7 (2014), Rn. 27).
Rn. 9
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Gegen die Auffassung der BStBK wird nach hier vertretener Ansicht zu Recht eingewandt, dass für die wirtschaftliche Verursachung einer ungewissen Verbindlichkeit die Intention des Gläubigers unerheblich ist (vgl. Karrenbrock, BB 2013, S. 235ff.), es also nicht darauf ankommen kann, ob der Steuergesetzgeber (vermeintlich) eine Steuerstundung bewirken wollte. Zu formal ist weiter die Argumentation, dass eine gegenwärtige wirtschaftliche Belastung nur vorliege, wenn die Steuerpflicht von Erträgen in die Zukunft verlagert wird. Im Ergebnis die gleiche wirtschaftliche Belastung stellt sich nämlich ein, sofern Aufwendungen steuerlich vorgezogen abzugsfähig sind (wie z. B. bei einer Aktivierung nach Maßgabe des § 248 Abs. 2 Satz 1). Die Bildung von Rückstellungen für latente Steuern i. S. d. IDW-Auffassung entspricht zudem einer am Realisationsprinzip orientierten Auslegung der wirtschaftlichen Verursachung (vgl. Karrenbrock, BB 2013, S. 235ff.).
Rn. 10
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Eine Aufrechnung mit aktiven latenten Steuern entspricht entgegen der Auffassung der BStBK den Grundsätzen zur Bewertung von Rückstellungen, da hierfür der Erfüllungsbetrag gemäß § 253 Abs. 1 Satz 2 maßgebend ist. Bereits nach dem Recht vor BilMoG ging die h. M. davon aus, dass steuerliche Verlustvorträge und aktive latente Steuern bei der Bewertung passiver latenter Steuern rückstellungsmindernd zu berücksichtigen sind (vgl. HdR-E (1995), HGB § 274, Rn. 42ff.; ADS (1997), § 274, Rn. 26f.; Beck Bil-Komm. (2010), § 274a HGB, Rn. 7). Bei einer Bewertung zum Erfüllungsbetrag sind erst recht gegenläufige Effekte zu berücksichtigen, die zu einer Minderung der zukünftigen Steuerbelastung führen (vgl. ähnlich die Überlegungen in IDW RS HFA 34 (2015), Rn. 29). Aktive latente Steuern und steuerliche Verlustvorträge sind nach hier vertretener Ansicht somit bei der Bewertung passiver latenter Steuern trotz Anwendung des § 274a Nr. 4 zu beachten (vgl. Oser et al., WPg 2009, S. 573 (581); IDW ERS HFA 27 (2009), Rn. 19f.). Eine Nichtberücksichtigung aktiver latenter Steuern würde zudem den Einblick in die Vermögenslage betreffender Gesellschaft durch Bildung stiller Reserven verzerren (vgl. HdJ, Abt. I/18 (2019), Rn. 120).
Rn. 11
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Frage, ob nach den allg. Regeln für Rückstellungen eine Abzinsung passiver latenten Steuern nach § 253 Abs. 2 Satz 1 zu erfolgen hat, wäre entsprechend dem Wort...