Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 361
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Für eine Internationalisierung der steuerlichen Gewinnermittlung ist nicht nur mittelbar über den (Um-)Weg des Maßgeblichkeitsgrundsatzes Raum, sondern ebenso unmittelbar im steuerlichen Gewinnermittlungsrecht selbst. So wurden etwa bereits die Maßnahmen zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage im Zuge des StEntlG 1999/2000/2002 mit einer Objektivierung der steuerlichen Gewinnermittlung und Anpassung an internationale Standards begründet (vgl. BT-Drs. 14/265, S. 127f.). Eine Einzelbetrachtung wesentlicher Änderungen, z. B. durch besagtes StEntlG (etwa die Einführung eines strikten Wertaufholungsgebots, die Beschränkung der Möglichkeit zur Teilwert-AfA auf dauernde Wertminderungen sowie die Einführung einer Abzinsungsverpflichtung für Rückstellungen), zeigt – cum grano salis – beachtliche Übereinstimmungen mit den Überlegungen des IASB (vgl. dazu weiterführend Herzig, WPg 2000, S. 104 (109f.); Herzig (2000), S. 65f., jeweils m. w. N.). Im Ergebnis sind die Einzelmaßnahmen nicht als Hinwendung des Steuergesetzgebers zu internationalen RL-Grundsätzen zu werten. Es wurden zielbewusst lediglich Regelungsbereiche herausgegriffen, deren Anpassung ein höheres Steueraufkommen generiert. Adjustierungen mit entgegengesetzten Folgewirkungen sind nicht erfolgt (vgl. Herzig (2001), S. 50ff.).
Rn. 362
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
I.R.d. sog. CCCTB-Projekts (Common Consolidated Corporate Tax Base) verfolgt die EU-KOM das Ziel, die Konzernbesteuerung in der EU fortzuentwickeln durch die Ermittlung eines konsolidierten Konzernergebnisses nach einheitlichen Regeln, Aufteilung der Bemessungsgrundlage im Wege einer formelhaften Gewinnzerlegung auf Konzernglieder und Besteuerung in den Mitgliedstaaten (vgl. z. B. Lang et al. (2008)).
Mit dem in 2011 veröffentlichten Vorschlag für eine EU-R des Rates über eine gemeinsame konsolidierte KSt-Bemessungsgrundlage ((GKKB); vgl. EU-KOM (2011)) wurde ein Regelwerk für eine optionale, harmonisierte UN-Besteuerung von Körperschaften in der EU präsentiert. 2016 wurde dieser komplexitätsreduzierend in zwei R-Entwürfe aufgespalten. Vorgelegt wurden Vorschläge für eine gemeinsame KSt-Bemessungsgrundlage ((GKB); vgl. EU-KOM (2016a)) und eine gemeinsame konsolidierte KSt-Bemessungsgrundlage ((GKKB); vgl. EU-KOM (2016b)), sog. "two-step-approach" (vgl. zu diesbezüglichen Vorschlägen bereits Herzig, StuW 2010, S. 214 (230); Hey, FR 2012, S. 994 (999); Spengel/Zöllkau (2012), S. 2f.; befürwortend BT-Drs. 17/5748, S. 2f.). Der R-Vorschlag zur GKB beinhaltet ein umfassendes Konzept für die Harmonisierung der Gewinnermittlungsvorschriften innerhalb der EU. Dessen Verabschiedung ist aus politischen und fachlichen Erwägungen heraus modifiziert allenfalls langfristig denkbar (vgl. Herzig, StuW 2010, S. 214 (220); Rödder, in: FS Herzig (2010), S. 359ff.; Hey, StuW 2011, S. 131 (142f.); Kahle/Schulz, FR 2013, S. 49ff.; Prinz, DB 2021, S. 9 (11); HB-BilStR (2021), Rn. 3076). Der R-Entwurf zur GKB sieht für multinationale UN eine verbindliche Anwendung der Regeln zur Gewinnermittlung vor, für UN, die lediglich die Voraussetzungen nach Art. 2 Abs. 1 lit. a), b) und d) des R-Entwurf erfüllen, eine optionale Anwendung (vgl. zu den Inhalten Scheffler/Köstler (2017); Velte/Mock, StuW 2017, S. 126ff.; Jacob/Fehling, ISR 2017, S. 290ff.). Eine Koexistenz zweier Systeme steuerlicher Gewinnermittlung/Bemessungsgrundlagen birgt erhebliches Potenzial für eine gleichheitswidrige Besteuerung, so dass langfristig europäisch vereinheitlichte Gewinnermittlungsregeln für alle bilanzierenden Steuerpflichtigen verbindlich vorzugeben wären. Befördert durch die OECD-Bemühungen um Pillar I und II hat die EU-KOM 2021 angekündigt, das GKKB-Projekt durch das sog. "BE-FIT"-Programm, das EU-weit einheitliche Vorschriften für die UN-Besteuerung und Aufteilung der der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten vorsehen soll, bis 2023 zu ersetzen (vgl. EU-KOM (2021)). Diese Entwicklung führt langfristig zu einer Europäisierung der steuerlichen Gewinnermittlung, zu einer vollständigen Ablösung von der nationalen HB und zur erheblichen Erweiterung der Rspr.-Kompetenzen des EuGH in Bilanzsteuerrechtsfragen. Der Maßgeblichkeitsgrundsatz gerät langfristig auch an diesem Ende unter Druck.
Rn. 363–365
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
vorläufig frei