Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 161
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Vom Handelsbilanzrecht abweichende steuerliche Ansatz- und Bewertungsvorbehalte für die Passivseite verlagern – unter Durchbrechung des Imparitäts- und Periodisierungsprinzips (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 4f.) – die Aufwandswirksamkeit einer am BilSt bestehenden Verpflichtung steuerlich in spätere Perioden und bewirken steuerliche stille bilanziellen (Zwangs-)Lasten. Wird eine Verpflichtung, in der aufgrund steuerlicher Ansatzvorbehalte und -verbote oder Bewertungsvorbehalte stille (Zwangs-)Lasten ruhen, zum Gegenstand eines entgeltlichen Erwerbsgeschäfts gemacht, das Risiko der Inanspruchnahme mithin entgeltlich auf einen Dritten transferiert, werden die stillen Lasten "endgültig realisiert" und beim Erwerber nach allg. Grundsätzen steuerlichen Passivierungsbeschränkungen (zunächst) nicht mehr unterworfen (vgl. BFH, Urteil vom 17.10.2007, I R 61/06, BStBl. II 2008, S. 255; BFH, Urteil vom 16.12.2009, BStBl. II 2011, S. 566; BFH, Urteil vom 14.12.2011, I R 72/10, BFH/NV 2012, S. 635; BFH, Urteil vom 12.12.2012, I R 28/11, BFH/NV 2013, S. 884). Der Abbau der Verpflichtung durch tatsächliche Inanspruchnahme steht dem Verpflichtungsabbau durch Risikotransfer gleich. Nach allg. Grundsätzen kommt es beim Übertragenden zu einer Realisation stiller Lasten, beim Übernehmenden bleibt der Vorgang entsprechend der aus dem Realisationsprinzip abzuleitenden Erfolgsneutralität von Anschaffungsvorgängen ohne Ergebniswirkung.
Rn. 162
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Realisationswirkungen einer entgeltlichen Verpflichtungsübernahme werden steuerlich durch § 4f EStG beim ursprünglich Verpflichteten, durch § 5 Abs. 7 EStG beim Übernehmenden rspr.- und maßgeblichkeitsbrechend unter Verstoß gegen das Realisations- und AK-Prinzip neutralisiert, um Steuerausfälle und als missbräuchlich empfundene "steuergünstige Verschiebung von Verpflichtungen" innerhalb verbundener UN zu unterbinden (vgl. BT-Drs. 18/68, S. 73). § 4f EStG erkennt die Realisationswirkung der Verpflichtungsübernahme zunächst an, ordnet (mit Ausnahmen insbesondere für Veräußerungen bzw. Aufgaben ganzer Betriebe oder gesamter Mitunternehmeranteile) dennoch an, dass beim Übertragenden der Aufwand aus der Übertragung von Verpflichtungen, die steuerlichen Ansatzverboten/-beschränkungen oder Bewertungsvorbehalten unterlegen haben, nicht sofort bei Realisation stiller Lasten, sondern nur gleichmäßig verteilt auf das WJ der Schuldübernahme sowie die nachfolgenden 14 Jahre als BA abziehbar sind. Die Realisationswirkungen werden damit steuerlich über einen Zeitraum von 15 Jahren gestreckt, Abweichungen gegenüber der handelsbilanziellen Behandlung infolge vormalig eingreifender steuerlicher Ansatzverbote/-beschränkungen oder Bewertungsvorbehalte in einer Rücklage über einen Zeitraum von weiteren 15 Jahren außerbilanziell ratierlich abnehmend konserviert.
Rn. 163
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Der Übernehmende hat die Verpflichtung zunächst zu AK zu passivieren. Für Verpflichtungen, die beim ursprünglich Verpflichteten steuerlichen Ansatzverboten/-beschränkungen oder Bewertungsvorbehalten unterlegen haben, ordnet § 5 Abs. 7 EStG an, diese zu den auf die Übernahme folgenden Abschlussstichtagen bei dem Übernehmer und dessen Rechtsnachfolger so zu bilanzieren, wie sie beim ursprünglich Verpflichteten ohne Übernahme zu bilanzieren wären. Steuerliche Ansatzverbote (vgl. z. B. § 5 Abs. 4a EStG), Ansatzbeschränkungen (vgl. z. B. § 5 Abs. 3f. EStG) oder Bewertungsvorbehalte (vgl. z. B. §§ 6 Abs. 1 Nr. 3a, 6a EStG) leben – trotz eingetretener Realisation stiller Lasten – beim Übernehmer mit der Folge wieder auf, dass bei diesem leistungsfähigkeitsinkonform und GoB-widrig Anschaffungs-(folge-)gewinne entstehen und der Besteuerung unterworfen werden. Die Besteuerung kann durch Bildung einer gewinnmindernden Rücklage i. H. v. 14/15 und deren jährliche Auflösung i. H. v. 1/15 über einen Zeitraum von 15 Jahren gestreckt werden, es sei denn, die Verpflichtung fällt vor Ablauf des Auflösungszeitraus weg (vgl. § 5 Abs. 7 Satz 6 EStG). Mit der im Wege gesetzlicher Fiktion angeordneten interpersonellen Verknüpfung von steuerlichen Ansatzverboten/-beschränkungen und Bewertungsvorbehalten werden die vor Verpflichtungsübernahme beim Übertragenden bestehenden Abweichungen zwischen HB und StB in die Bilanzen des Übernehmenden transportiert.
Die Regelungen greifen ein für die befreiende Schuldübernahme (vgl. § 414ff. BGB) ebenso den Schuldbeitritt (trotz Benennung im Gesetz mangels Zurechnungswechsels der Schuld), nicht aber für die bloße Erfüllungsübernahme (interne Schuldfreistellung i. S. d. § 329 BGB), bei der neben die unverändert zu passivierende Schuld eine zu aktivierende Freistellungsforderung tritt (vgl. im Einzelnen L/B/P (2021), §§ 4, 5 EStG, Rn. 1478f.; a. A. BMF, Schreiben vom 30.11.2017, IV C 6 – S 2133/14/10001, BStBl. I 2017, S. 1619ff. (Rn. 24f.): Originärschuldner realisiere auch insoweit stille Lasten und habe weder die Originärschuld noch einen Freistellungsanspruch...