Dr. Matthias Heiden, Dr. Christian F. Bosse
Rn. 123
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die Gesetzesbegründung zum KonTraG verdeutlicht den Willen des Gesetzgebers, dass die Bestimmung des Abs. 2 konzernweit zu verstehen ist: "Bei Mutterunternehmen im Sinne des § 290 HGB ist die Überwachungs- und Organisationspflicht im Rahmen der bestehenden gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten konzernweit zu verstehen, sofern von Tochtergesellschaften den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen ausgehen können" (BT-Drs. 13/9712, S. 15). Diese Formulierung deutet bereits darauf hin, dass eine konzernweite Verpflichtung zur Einrichtung eines Risikofrüherkennungssystems im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Einheit und rechtlicher Vielfalt des Konzerns steht (vgl. auch Theisen, AG 1991, S. 262) und somit einer näheren Erläuterung bedarf. Auf die Formulierung des RefE wird verwiesen (vgl. HdR-E, AktG § 91, Rn. 60). Weitere Äußerungen des Gesetzgebers zu Anforderungen oder inhaltlichen Ausgestaltungen finden sich wie schon im Falle der Einzelgesellschaft nicht.
Rn. 123a
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Das LG Stuttgart weist in einem Urteil aus dem Jahre 2017 darauf hin, dass eine reine Bemühenspflicht im Konzern nicht ausreichend ist. "Ein Überwachungssystem nach § 91 Abs. 2 AktG darf sich nicht damit begnügen, bei der Risikoquantifizierung lediglich Minimalstrafen oder für am wahrscheinlichsten gehaltene Strafen anzusetzen" (LG Stuttgart, Urteil vom 19.12.2017, 31 O 33/16 KfH, NZG 2018, S. 665), da dies einer frühzeitigen Erkennung bestandsgefährdender Risiken entgegenstehen kann.
Rn. 124
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Dennoch sensibilisiert der Gesetzgeber durch seine Formulierung für die Tatsache, dass die dynamisch voranschreitende Konzernierung der Wirtschaft nicht nur Vorteile (vgl. etwa Küting (1980); Theisen, M. 2000, S. 91ff.), sondern möglicherweise auch bestandsgefährdende Risikopotenziale mit sich bringen kann. Schieflagen in großen deutschen Konzernen in den 90er Jahren belegen, warum der Gesetzgeber zu dieser Auffassung gelangt ist (vgl. für einen Überblick Schäfer (2001), S. 20ff.).
Rn. 125
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Die Verpflichtung zur rechtzeitigen Erfassung und Analyse der Risiken beschränkt sich aus Sicht der Konzernmutter auf die für sie bestandsgefährdenden Risiken. Im Vordergrund steht die individuelle Ermittlung von Risikopotenzialen und ihre Weiterleitung an den Vorstand. Bei divisionalisierter UN-Struktur bspw. ist abzuwägen, ob Risiken dezentral in den UN-Bereichen oder zentral zu erfassen sind. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Abstimmung zwischen UN-Bereichen, um bestandsgefährdende Akkumulationen und Interdependenzen rechtzeitig zu erfassen (vgl. Endres, ZHR 1999, S. 441 (451f.); zum Divisionalkonzern auch HdK (1998), Kap. II/1/7, Rn. 964f.). Aus Sicht der Konzernobergesellschaft ist hierbei entscheidend Vorsorge zu treffen, dass einzelne Risiken, die für sich genommen als nicht bestandsgefährdend eingestuft würden, im Zusammenspiel mit (nicht bestandsgefährdenden) Risiken anderer Konzern-UN unter Going Concern-Gesichtspunkten eine bestandsgefährdende Relevanz entfalten können.
Rn. 126
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Neben diesen grundlegenden betriebswirtschaftlichen Ausgestaltungsfragen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll (vgl. etwa weiterführend Küting/Heiden, in: HWUC (2002), Sp. 288 (297); Helmke/Risse, krp 1999, S. 277ff.; Lehner/Schmidt, BFuP 2000, S. 261ff.), sind auch juristische Fragestellungen zu erörtern. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird vielfach implizit eine problemlose konzernweite Durchsetzung zur Erfüllung der aktienrechtlichen Verpflichtung entwickelter umfangreicher Risikostrategien unterstellt (vgl. etwa Hornung/Reichmann/Diedrichs, Controlling 1999, S. 317ff.).
Rn. 127
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Dabei werden jedoch zwei wesentliche Problemfelder regelmäßig außer Acht gelassen:
- unterschiedliche Ausgangskonstellation bei Vorliegen einer faktischen oder vertraglichen Konzernierung,
- Umfang der einzubeziehenden UN-Verbindungen.
Rn. 128
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Zunächst ist zu konstatieren, dass es sich bei vorliegender Fragestellung nicht um ein zusätzliches konzernspezifisches Rechtsproblem handelt, sondern eine Konkretisierung der Diskussion um die Konzernleitungsverpflichtung (vgl. auch Reuter, DB 1999, S. 2250f.; Theisen, AG 1991, S. 262 (265); Weber (1995), S. 74ff., jeweils m. w. N.). Grds. hat die konzernweite Umsetzung der organisatorischen Anforderungen unter Berücksichtigung der Belange von MU und TU zu erfolgen. Hierbei treffen einheitliche Leitung der Konzernobergesellschaft und rechtlich fundierte Leitungsautonomie der untergeordneten Gesellschaft regelmäßig aufeinander. Während der Vorstand des MU Schaden von der Gesellschaft abzuwenden hat, der durch die Beteiligung an betreffendem TU resultieren könnte, hat die Geschäftsleitung des TU gleichermaßen ihre Leitungsverpflichtung zu erfüllen. Eine eigenständige Verpflichtung zur Risikofrüherkennung auf Seiten des TU bleibt von de...