Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Peter Dittmar
Rn. 212
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die internationalen PS sind bei der AP verpflichtend anzuwenden, wenn sie – vergleichbar zu dem von den IFRS bekannten Endorsement-Verfahren – von der EU-KOM in einem förmlichen Prozess (sog. Komitologieverfahren) in europäisches Recht übernommen worden sind (vgl. Oser Et Al., WPg 2008, S. 105 (109)). Erst mit der Übernahme in europäisches Recht entfalten die ISA in den handelsrechtlichen Prüfungsvorschriften eine Bindungswirkung. Bevor die internationalen PS zur unmittelbaren gesetzlichen Grundlage für die Durchführung einer handelsrechtlichen AP werden, sind daher zwei Schritte erforderlich: In einem ersten Schritt müssten Standards durch das IAASB verlautbart werden. Sodann ist in einem zweiten Schritt die Übernahme bzw. eine Adaption durch die EU-KOM erforderlich.
Rn. 213
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Das IAASB hat im Oktober 2005 ein umfassendes Projekt zur Überarbeitung der ISA begonnen (sog. Clarity-Projekt). Ziel jenes Projekts war es, die Struktur und die Klarheit der Standards zu verbessern, Redundanzen zu eliminieren und damit verständlichere Standards zu entwickeln (vgl. Ferlings/Poll/Schneiss, WPg 2007, S. 145). Zugleich sollten damit die Voraussetzungen für eine Übernahme der ISA durch die EU-KOM geschaffen werden. In diesem Projekt wurden sämtliche Standards entweder "redrafted" (neu strukturiert und formuliert) oder "revised and redrafted" (inhaltlich aktualisiert sowie neu strukturiert und formuliert). Am 03.03.2009 wurden die letzten aus dem Projekt hervorgegangenen sieben Standards nach Genehmigung durch das Public Interest Oversight Board (PIOB) vom IAASB veröffentlicht (vgl. Haufe HGB-Komm. (2022), § 317, Rn. 144). Der vollständige Satz der überarbeiteten ISA war erstmals für Prüfungszeiträume ab dem 15.12.2009 anzuwenden (vgl. Erchinger/Melcher, DB 2008, Beilage 1 zu Heft 7, S. 56 (57)).
Rn. 214
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Als allg. Voraussetzungen für die Übernahme der internationalen PS durch die EU-KOM sieht Art. 26 Abs. 3 der AP-R vor, dass die PS in einem einwandfreien Verfahren mit angemessener öffentlicher Aufsicht und Transparenz erstellt wurden und international allg. anerkannt sind. Zudem soll ihre regelkonforme Anwendung die Glaubwürdigkeit und die Qualität des JA bzw. KA erhöhen und damit dem europäischen Gemeinwohl dienen (vgl. hierzu auch Erwägungsgrund (14) der AP-R; Tiedje, WPg 2006, S. 593 (598); Erchinger/Melcher, WPg 2008, S. 959 (964)). Ferner dürfen die internationalen PS die in der AP-R enthaltenen Anforderungen mit Ausnahme der in Kap. IV (Berufsgrundsätze), Art. 27 (KA-Prüfer) und Art. 28 (BV) enthaltenen Vorgaben ändern oder ergänzen.
Rn. 215
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Eckpunkte der Strategie der EU-KOM hinsichtlich der Übernahme der ISA wurden vom EU-Binnenmarktkommissar McCreevy vor dem Rechtsauschuss des Europäischen Parlaments am 19.12.2007 dargelegt. Wesentliche Voraussetzung für die Übernahme der ISA war demnach der Abschluss des vom IAASB durchgeführten Clarity-Projekts, der im März 2009 erreicht werden konnte. Außerdem gab die EU-KOM zwei Studien in Auftrag, welche die möglichen Auswirkungen einer Übernahme der ISA in europäisches Recht untersuchen und die ISA mit den US-amerikanischen PS vergleichen sollten (vgl. Erchinger/Melcher, WPg 2008, S. 959 (964)). In einer von der Universität Duisburg-Essen durchgeführten Studie zu den Kosten-Nutzen-Effekten bei Einführung der ISA konnte bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung gezeigt werden, dass bei Gültigkeit weltweit einheitlicher PS der Nutzen insgesamt ansteigt (vgl. Köhler/Böhm, WPg 2009, S. 997 (1002f.)).
Rn. 216
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Auch nach Abschluss des vom IAASB durchgeführten Clarity-Projekts gibt es von Seiten der EU-KOM bislang keine verbindliche Aussage über den Zeitpunkt einer Entscheidung über die Übernahme der ISA. Davon losgelöst wurden bereits verschiedene mögliche Erstanwendungszeitpunkte diskutiert. Während auf europäischer Ebene von der (damaligen) Fédération des Experts Comptables Européens und dem EGAOB bereits für die AP des GJ 2010 eine verpflichtende Anwendung der ISA nicht ausgeschlossen wurde (vgl. Heininger, WPg 2010, S. 15 (18)), sprach sich das IDW für eine längere Vorlaufzeit aus, damit der Berufsstand die notwendigen Vorbereitungs- und Anpassungsmaßnahmen treffen konnte. Das IDW hatte daher vorgeschlagen, eine obligatorische Anwendung der ISA erstmalig für die AP des Jahres 2012 vorzusehen (vgl. Heininger, WPg 2010, S. 15 (18)). Aufgrund weiterer zeitlicher Verzögerungen des Komitologieverfahrens gegenüber den ursprünglichen und zwischenzeitlich wiederholt angepassten Erwartungen kann derzeit keine verlässliche Aussage zum Erstanwendungszeitpunkt der ISA gemacht werden. Vielmehr erscheint es zum jetzigen Zeitpunkt "mehr als fraglich, ob die ISA in absehbarer Zeit in europäisches Recht übernommen werden" (Gewehr/Moser, WPg 2018, S. 193 (195f.)). Da die internationalen PS bereits in allen großen EU-Mitgliedstaaten unmittelbar oder durch Integrat...