Rn. 79
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Unter Gemeinschafts-UN versteht man gemeinsame TU verschiedener UN (sog. MU), die zur Erreichung gemeinsamer – nicht unbedingt identischer – Zwecke gegründet oder erworben werden. Beispiele sind Einkaufs- oder Verkaufsgemeinschaften, gemeinsame Produktions- und Forschungseinrichtungen etc. "Die praktische Bedeutung derartiger gemeinsamer Töchter scheint ständig zuzunehmen" (Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 34). Wie seine Erscheinungsformen kann auch das Verhältnis des Gemeinschafts-UN zu seinen MU sehr unterschiedlich sein. Sofern eines der MU bereits Mehrheitsaktionärin ist oder aufgrund einer Stimmrechtsbindung die alleinige Führung übernimmt, ist das Gemeinschafts-UN nur von diesem MU, nicht dagegen von den übrigen MU abhängig (vgl. Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 35). Das Gegenteil liegt vor, wenn die MU grds. unkoordiniert gegenüber dem Gemeinschafts-UN vorgehen, z. B. in Form von Fall zu Fall getroffenen Ad-hoc-Entscheidungen, und hierdurch ihre Einflussmöglichkeiten gegenseitig blockieren. In diesem Fall besitzt keines der MU beherrschenden Einfluss, das Gemeinschafts-UN ist somit nicht abhängig (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 78; WP-HB (2021), Rn. C 107).
Rn. 80
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Problematischer ist der Fall, wenn die MU ihren Einfluss auf das gemeinsame TU koordinieren, um gemeinsam auf dieses Einfluss ausüben zu können. In diesem Fall war es lange Zeit umstritten, ob eine mehrfache Abhängigkeit des gemeinsamen TU von seinen MU angenommen werden kann oder nicht (vgl. zur Diskussion ausführlich KK-AktG (2011), § 17, Rn. 83ff.). Heute herrscht große Einigkeit darüber, dass eine mehrfache Abhängigkeit zu bejahen ist, wenn der Einfluss der verschiedenen MU koordiniert ist (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 17, Rn. 13; MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 78; Emmerich/Habersack (2020), § 3, Rn. 35; HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 51). Entscheidend für die einheitliche Beurteilung war wohl die Erkenntnis, dass das Vorliegen eines Abhängigkeitsverhältnisses aus der Sicht des abhängigen und nicht des herrschenden UN zu beurteilen ist. Vom Standpunkt des abhängigen UN ist es nämlich gleichgültig, ob der – nach außen einheitliche – fremde UN-Wille, dem die Gesellschaft unterworfen ist, von einem oder mehreren anderen UN gebildet wird; denn die Gefahr, zum eigenen Nachteil fremden UN-Interessen dienstbar gemacht zu werden, ist für das abhängige UN auch in diesen Fällen gegeben.
Rn. 81
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Die mehrfache Abhängigkeit einer Gesellschaft setzt jedoch voraus, dass die gemeinsame Herrschaft auf eine hinreichend sichere Grundlage zurückgeführt werden kann, "mithin eine etablierte unternehmerische Mehrheit vorhanden ist, die sich nicht von Fall zu Fall erst finden muss" (MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 79; vgl. des Weiteren BAG, Beschluss vom 11.02.2015, 7 ABR 98/12, JR 2016, S. 345ff.). Eine solch ausreichende Grundlage kann insbesondere durch vertragliche Vereinbarungen geschaffen werden. Geeignete Mittel hierfür sind z. B. außer der Gründung einer BGB-Gesellschaft der MU v.a. die Zusammenfassung der MU in einem Gleichordnungskonzern sowie Konsortial- oder Stimmbindungsverträge, mit denen die Gesellschafter sich zum Zwecke gemeinsamer Willensbildung und Stimmrechtsausübung zusammenschließen (vgl. KonzernR (2019), § 17 AktG, Rn. 29; HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 52). Neben einer solchen vertraglichen Vereinbarung können auch rechtliche, organisatorische oder tatsächliche Umstände sonstiger Art als gesicherte Grundlage für eine mehrfache Abhängigkeit genügen. Als Beispiele werden genannt:
- gleiche Gesellschafter oder personell verflochtene Geschäftsführungsorgane (vgl. HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 53);
- gleichgerichtete Interessen, z. B., wenn mehrere Familienmitglieder die für eine gemeinsame Herrschaftsausübung erforderlichen Beteiligungen halten "und die Familie in der Vergangenheit stets als geschlossene Einheit aufgetreten ist" (HB-GesR (2020/IV), § 69, Rn. 53), nicht allein jedoch die bloße Zugehörigkeit zu einer Familie (vgl. MünchKomm. AktG (2019), § 17, Rn. 79; BAG, Beschluss vom 11.02.2015, 7 ABR 98/12, JR 2016, S. 345ff., für gleichgerichtete Interessen in der UN-Politik).
Rn. 82
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Das Fehlen einer Interessendivergenz zwischen paritätisch beteiligten UN, welches sich z. B. durch ein gleichförmiges Verhalten auf den Gesellschafterversammlungen zeigt, führt allein noch nicht zur gemeinsamen Beherrschung. Abgesehen davon, dass die Interessengleichheit sich aus der Sachgerechtigkeit von Entscheidungen erklären lässt, würde dies letztlich darauf hinauslaufen, "bei 50:50-Beteiligungen stets ein beherrschtes Gemeinschaftsunternehmen anzunehmen, da beide Anteilseigner gezwungen sind, sich vor jeder Abstimmung zu einigen" (ADS (1997), § 17 AktG, Rn. 45). Allein das pragmatische Argument, dass bei paritätischen Gemeinschafts-UN wegen des faktischen Einigungszwangs stets Abhängigkeit gegeben oder zu vermuten sei, ist abzulehnen (vgl...