Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 61
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Gemäß § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG sind die Ergebnisse in der handelsrechtlichen RL zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildeter Bewertungseinheiten auch für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich. Die Vorschrift statuiert insoweit keine Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB, sondern konkreter Ergebnisse der handelsrechtlichen RL und ist damit zunächst auf Bewertungsebene zu verorten (Kompensationsbereich Bewertungseinheit), bezüglich der Abbildung des Bewertungsergebnisses (durch Drohverlustrückstellungen für Verlustüberhänge) gleichwohl auch auf der Ansatzebene. Letzteres wird durch die in § 5 Abs. 4a Satz 2 EStG gewährte Ausnahme vom steuerlichen Verbot der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften gewährleistet.
Rn. 62
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Der Gesetzgeber erkennt die Notwendigkeit einer bilanziellen Abbildung von Bewertungseinheiten handels- ebenso wie steuerbilanziell an. Die isolierten Wirkungen streng imparitätischer Abbildung unrealisierter Gewinne und Verluste sowie des Einzelbewertungsgrundsatzes führen zu einem realitätsfernen Bilanzbild: Während ein unrealisierter Verlust zu zeigen wäre (Ausnahme z. B. steuerliche Drohverlustrückstellungen i. S. d. § 5 Abs. 4a EStG), dürfte ein unrealisierter Gewinn nicht gezeigt werden, so dass Bewertungseinheiten ohne das Institut einer kompensatorischen Bewertung stets mit dem Makel eines negativen Bilanzbildes behaftet wären. Effektiv gesichertes Risiko soll realitätskonform auch bilanziell nicht ergebniswirksam werden, nur "theoretische Verluste" (Schmidt: EStG (2022), § 5, Rn. 70; vgl. auch Gröne, StB 2018, S. 250) sollen nicht gezeigt werden. § 254 ordnet demgemäß an, dass bei Grund- und Sicherungspositionen, die zu einer handelsbilanziellen Bewertungseinheit zusammengefasst werden, § 249 Abs. 1, § 252 Abs. 1 Nr. 3f., § 253 Abs. 1 Satz 1 und § 256a in dem Umfang und für den Zeitraum nicht anzuwenden sind, in dem sich die gegenläufigen Wertänderungen oder Zahlungsströme aus Grund- und Sicherungsposition(en) ausgleichen. Für den Kompensationsbereich der Sicherungsbeziehung wird damit – gemäß § 5 Abs. 1a Satz 2 i. V. m. § 5 Abs. 4a Satz 2 EStG mit Wirkung für das Steuerrecht – insbesondere die Anwendung des Einzelbewertungs- und Realisationsprinzips suspendiert, lediglich für einen nicht zum Ausgleich kommenden Gewinn-/Verlustüberhang sind grds. die allg. Bilanzierungsgrundsätze zur Anwendung zu bringen.
Rn. 63
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Trotz des expliziten gesetzgeberischen Angleichungs- und Vereinfachungswillens wurden die Regelungen im Handels- und Steuerrecht nicht identisch formuliert. Während § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG auf die "zur Absicherung finanzwirtschaftlicher Risiken gebildeten Bewertungseinheiten" abstellt, adressiert die erst mit BilMoG eingeführte Regelung des § 254 die Zusammenfassung von "Vermögensgegenstände[n], Schulden, schwebende[n] Geschäfte[n] oder mit hoher Wahrscheinlichkeit erwartete[r] Transaktionen zum Ausgleich gegenläufiger Wertänderungen oder Zahlungsströme aus dem Eintritt vergleichbarer Risiken mit Finanzinstrumenten", was zur Frage eines etwaig abweichenden, konkret eines gegenüber dem handelsrechtlichen engeren steuerlichen Anwendungsbereichs führt (vgl. AKBR, BB 2008, S. 209 (213)), der z. T. so vertreten wird (vgl. z. B. Hahne, StuB 2007, S. 18 (20f.); Prinz, BBK 2008, S. 5270 (5273); Krüger, StB 2008, S. 117 (122)).
Rn. 64
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die RegB zu § 285 Nr. 23 benennt als i. S. d. § 254 normrelevante Risiken konkret Zins-, Währungs-, Ausfall-, Preisänderungs- und Liquiditätsrisiken (vgl. BR-Drs. 344/08, S. 158; zum Risikobegriff nach § 254 auch Scharpf/Schaber, KoR 2008, S. 532 (533)). Finanzwirtschaftliche Risiken umfassen neben Preis- (Zinsänderungs-, Währungs- und Rohstoffpreisrisiken) insbesondere auch Ausfall- und Liquiditätsrisiken (vgl. stellvertretend Schierenbeck/Lister (2001), S. 332; Widmayer (2002), S. 10; Schiffers, DStZ 2006, S. 400 (403); Barckow, in: StbJb (2006/07), S. 217 (219f.)). Eine gesetzgeberseitige Intention, den Anwendungsbereich des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG auf einen Ausschnitt der handelsrechtlich gemäß § 254 zulässigen Bewertungseinheiten zu beschränken, ist nicht erkennbar. Schon der RefE zum BilMoG qualifizierte § 5 Abs. 1a EStG als "steuerliches Pendant" zu § 254 (vgl. BMJ (2007), S. 119 (auch Zitat)) und ging explizit von einem Gleichklang der Vorschriften aus. Auch der RegE des BilMoG betont(e) die enge Verzahnung zwischen § 5 Abs. 1a EStG und § 254 (vgl. BR-Drs. 344/08, S. 124, 127). Desgleichen wird in der RegB zu § 5 Abs. 1a EStG explizit ausgeführt, die Regelung wirke einer "weiteren Differenzierung von Handels- und Steuerrecht entgegen" (BT-Drs. 16/634, S. 10). Dies lässt den Schluss zu, dass trotz fehlender Wortlautidentität der Regelungen Ergebnisse aller in der HB zulässig gebildeten Bewertungseinheiten auch steuerlich konkret maßgeblich sind (vgl. Herzig/Briesemeister, Ubg 2009, S. 157; Zwirn...