Prof. Dr. Hartmut Bieg, Prof. Dr. Gerd Waschbusch
a) Systematik
Rn. 94
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
In § 15 AktG werden die Arten der "verbundenen UN" abschließend bzw. erschöpfend aufgeführt, die ihrerseits dann in den §§ 16–19 und 291f. AktG näher spezifiziert werden und durch widerlegbare oder unwiderlegbare Vermutungen miteinander verknüpft sind. "Verbundene UN" sind rechtlich selbständige UN, die im Verhältnis zueinander
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in Mehrheitsbesitz stehende und mit Mehrheit beteiligte UN (vgl. § 16 AktG), |
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abhängige und herrschende UN (vgl. § 17 AktG), |
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Konzern-UN (vgl. § 18 AktG), |
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wechselseitig beteiligte UN (vgl. § 19 AktG), oder |
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Vertragsteile eines UN-Vertrags (vgl. §§ 291f. AktG) |
sind (vgl. insbesondere HdK (1998), Kap. II/5, Rn. 736ff.; HdR-E, AktG §§ 15–19, Rn. 1ff.; überdies Küting, DStR 1987, S. 347ff., sowie Küting (2012), S. 14ff.).
Übersicht: Verbundene Unternehmen i. S. d. AktG
Dabei werden zunächst nur die unmittelbaren (direkten, bilateralen) Beziehungen berücksichtigt, d. h., "verbundene UN" müssen "im Verhältnis zueinander" stehen. Die Vorschrift bedeutet also nicht, dass ein UN, das durch eine der fünf Arten von UN-Verbindungen mit einem anderen UN verbunden ist, allein schon aus diesem Grund mit dritten UN i. S. d. Gesetzes verbunden ist, die ihrerseits mit anderen UN in einer UN-Verbindung stehen (vgl. WP-HB (2023), Rn. C 49). Ausschließlich der Konzerntatbestand schafft sog. multilaterale Verbundbeziehungen, indem alle Konzern-UN gleichzeitig auch im gegenseitigen UN-Verbund stehen. Fernerhin kann ein UN-Verbund aber auch durch § 16 Abs. 4 AktG mittelbar (indirekt) begründet sein. Denn danach sind z. B. diejenigen Anteile, die einem abhängigen UN gehören, dem herrschenden UN zuzurechnen, so dass die Voraussetzung "im Verhältnis zueinander" zwischen einem im Mehrheitsbesitz des abhängigen UN stehenden UN und dem herrschenden UN mittelbar erfüllt ist (vgl. lediglich Dusemond (1993), S. 4f.).
b) Zum Vergleich von Mehrheitsbeteiligung, Abhängigkeit und Konzerntatbestand
Rn. 95
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Vorschriften der §§ 15ff. AktG sind in der Weise angelegt, dass über eine Vermutungskaskade bei Erfüllung der Voraussetzungen auf einer vorgelagerten Stufe die Charakteristiken der nachgelagerten Stufe zutreffen. Für die nachfolgenden Ausführungen wird die Annahme getroffen, dass in den aufgezeigten Fällen weder ein BHV (i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG) noch eine Eingliederung (i. S. d. §§ 319f. AktG) vorliegt. M.a.W.: Nachstehende Dar- respektive Überlegungen gehen von einem faktischen Konzern aus.
(1) |
Auf der ersten Stufe der Vermutungskette wird zunächst widerlegbar vermutet, dass ein in Mehrheitsbesitz stehendes (anderes) UN von dem mit Mehrheit beteiligten UN abhängig ist (vgl. § 17 Abs. 2 AktG). Die Beweislast, dass trotz Mehrheitsbeteiligung keine Abhängigkeit gegeben ist, liegt bei demjenigen UN, das sich zur Vermeidung der Rechtsfolgen auf die nicht vorliegende Abhängigkeit beruft. Übersicht: Verhältnis zwischen Mehrheitsbeteiligung und Abhängigkeit In praxi stellt obige Schnittmenge (Fläche (2)) eindeutig den Regelfall dar (vgl. stellvertretend Dusemond/Küting/Wirth (2018), S. 38ff.; Emmerich/Habersack (2023), § 3, Rn. 41ff.). |
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Liegt eine Abhängigkeit vor, wird sodann die widerlegbare Vermutung ausgesprochen, dass ein abhängiges mit dem herrschenden UN einen Konzern bildet (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG). Die Beweislast, dass kein Konzerntatbestand vorliegt, trägt die Obergesellschaft. Übersicht: Verhältnis zwischen Abhängigkeit und Konzerntatbestand Auch bei diesem Vergleich stellt obige Schnittmenge (Fläche (2)) wiederum den in der Praxis bedeutsamsten (Regel-)Fall dar (vgl. so mitunter auch Dusemond/Küting/Wirth (2018), S. 41ff.; Emmerich/Habersack (2023), § 4, Rn. 26ff.). Für denjenigen Fall, dass ein BHV (i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG) existiert oder der Eingliederungstatbestand (i. S. d. § 319f. AktG) erfüllt ist, wird dagegen seitens des Gesetzgebers die unwiderlegbare Vermutung ausgesprochen, dass in diesen Fallkonstellationen von der Möglichkeit beherrschender Einflussnahme auch tatsächlich Gebrauch gemacht wird, ergo der Konzerntatbestand dann unmittelbar als erfüllt anzusehen ist (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG). |
Rn. 96
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Übersicht: Aktienrechtliche Vermutungskette
Damit liegt eine zweistufige Vermutungskette vor. Wird diese nicht widerlegt, so führt eine Mehrheitsbeteiligung zwangsläufig und unumgänglich zum Konzerntatbestand. In praxi dürften diese beiden Vermutungstatbestände in aller Regel nicht widerlegt werden (können). Dahinter steht mit Emmerich/Sonnenschein ((1997), S. 70) die durchaus "realistische Annahme der Gesetzesverfasser, daß herrschende Unternehmen ihren Einfluß in aller Regel auch tatsächlich [für Zwecke der Konzernbildung, d.Verf.] ausnutzen werden." Der ansonsten schwer fassbare Konzernbegriff wird damit zumindest ein Stück weit operationalisiert.