Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Boris Hippel
Rn. 47
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 264 Abs. 2 Satz 2 bzw. Satz 4 verlangt zusätzliche Angaben im Anhang bzw. für Kleinst-KapG unter der Bilanz, wenn der JA aufgrund besonderer Umstände kein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der VFE-Lage des UN vermittelt. § 264 Abs. 2 Satz 2 bzw. Satz 4 macht die Forderung von Satz 1 noch einmal deutlich, dass der JA, d. h. die Einheit von Bilanz, GuV und Anhang, ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild des UN vermitteln muss. Kann das geforderte Bild mit der Bilanz, mit der GuV und mit den gesetzlich ausdrücklich geforderten und konkretisierten Angaben im Anhang nicht vermittelt werden, weil der Generalnorm die Anwendung einer Einzelvorschrift als lex specialis oder eine fehlende Regelung im Gesetz oder andere besondere Umstände entgegenstehen (vgl. auch HdK (1998), § 297 HGB, Rn. 23ff.), so fordert schon § 264 Abs. 2 Satz 1 implizit zusätzliche Angaben im Anhang, damit die Einheit von Bilanz, GuV und Anhang das den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild des UN vermittelt. § 264 Abs. 2 Satz 2 hat somit ausschließlich klarstellende Bedeutung (vgl. BT-Drs. 10/317, S. 76).
Der Fall, dass neben den bereits gesetzlich vorgeschriebenen Angaben zusätzliche Angaben im Anhang bzw. unter der Bilanz erforderlich sind, wird im Gesetz als Ausnahmefall dargestellt. Nur wenn "besondere Umstände" (§ 264 Abs. 2 Satz 2) dazu führen, dass ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild von der Lage des UN nicht vermittelt wird, sind zusätzliche Erläuterungen im Anhang bzw. unter der Bilanz notwendig. Dies entspricht der Protokollerklärung der KOM und des Rats der EG zu Art. 2 Abs. 4 der 4. EG-R: "Der Rat und die Kommission stellen fest, daß es normalerweise ausreicht, die Richtlinie anzuwenden, damit das gewünschte, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild entsteht" (KOM und Rat der EG (1978), S. 183).
Zusätzliche Erläuterungen im Anhang bzw. unter der Bilanz sind z. B. notwendig, wenn ein UN einen großen Teil seines Gewinns in Niederlassungen oder Betriebstätten erzielt, die in Ländern mit einer hohen Inflationsrate liegen (vgl. Biener, BFuP 1979, S. 1 (5)). Der in der Bilanz und der GuV ausgewiesene Gewinn besteht hier zu einem großen Teil aus Scheingewinnen (vgl. Reuter (1985), S. 177ff.). Ohne entsprechende Erläuterungen im Anhang bzw. unter der Bilanz würde den JA-Adressaten ein zu positives Bild von der Ertragslage des UN vermittelt. Auch ein Abweichen von der Annahme der Fortführung der UN-Tätigkeit (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2) muss im Anhang angegeben und begründet werden, um der Rechenschaftspflicht nachzukommen (vgl. Schülen, WPg 1987, S. 223 (226)). Ein weiteres Beispiel sind besondere Risiken, die bestehen, wenn ein UN in politisch instabilen Regionen tätig ist (vgl. Grossfeld/Junker (1980), S. 274). Hier reicht es aber aus, wenn eine entsprechende Erläuterung im Lagebericht bei der Darstellung der künftigen Risiken erfolgt. Weitere Beispiele für eine Erläuterung im Anhang können wesentliche bilanzpolitische Maßnahmen, wie aperiodische Gewinnrealisierungen, sein (vgl. ADS (1997), § 264, Rn. 115ff.; Beck Bil-Komm. (2022), § 264 HGB, Rn. 58).
Ob auf die Bildung oder Auflösung wesentlicher stiller Reserven hinzuweisen ist, hängt vom Einzelfall ab. Die Einblicksforderung der Generalnorm macht zumindest eine verbale Erläuterung im Anhang bei gravierenden Veränderungen erforderlich. Auch eine grobe Schätzung der Höhe bestehender stiller Reserven ist i. d. R. aufwendig und unterliegt oft erheblichen Schwankungen, z. B. was den künftigen Wert von Immobilien betrifft. Eine Angabepflicht ist daher nur in gravierenden Fällen erforderlich (vgl. ADS (1997), § 264, Rn. 121, 123).
Die Angabepflicht beschränkt sich auf wesentliche Fälle. Unerhebliche Abweichungen zwischen dem durch Bilanz, GuV und Anhang vermittelten Bild und dem gemäß der Generalnorm geforderten, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bild des UN lösen keine zusätzliche Angabepflicht im Anhang aus (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 264 HGB, Rn. 56; ADS (1997), § 264, Rn. 101).
Der Umfang zusätzlicher Angaben, die von einer Kleinst-KapG gemäß § 264 Abs. 2 Satz 4 möglicherweise zu machen sind, wird durch § 264 Abs. 2 Satz 5 wesentlich eingeschränkt. Danach wird vermutet, dass ein unter Berücksichtigung der Erleichterungen für Kleinst-KapG aufgestellter JA ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild der VFE-Lage vermittelt. Zwar kann diese widerlegbare Vermutung kritisch gesehen werden, doch ist der Gesetzgeber durch die Pflicht, im Falle der Vermittlung eines nicht den tatsächlichen Verhältnissen entsprechenden Bildes zusätzliche Angaben unter der Bilanz zu fordern, einen Kompromiss zugunsten der für Kleinst-KapG eingeführten Erleichterungen bei der Aufstellung des JA eingegangen. Als Beispiel für zusätzliche Informationspflichten neben den Angabepflichten gemäß § 264 Abs. 1 Satz 5 kommen laut Gesetzgeber Angaben über Alt-Pensionszusagen nach Art. 28 EGHGB in Frage.