Dr. Dirk Fey, Prof. Dr. Henner Klönne
Rn. 63
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Im geltenden HGB ist der Begriff der "sonstigen Haftungsverhältnisse" nicht zu finden. § 285 Nr. 3a fordert für KapG und Gesellschaften i. S. d. § 264a die Angabe wesentlicher sonstiger finanzieller Verpflichtungen, die weder passiviert, noch nach § 268 Abs. 7 oder § 285 Nr. 3 angabepflichtig sind. In der maßgeblichen RegB zum Bilanzrichtlinien-Gesetz (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355ff.) zu § 285 Nr. 3 (vgl. BT-Drs. 10/4268, S. 110), der vergleichbar zum § 285 Nr. 3a in der derzeit gültigen Fassung ist, wurde ausdrücklich erwähnt, dass sonstige Haftungsverhältnisse im Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen im Anhang anzugeben sind, wenn der Gesamtbetrag wesentliche Bedeutung für die Finanzlage besitzt. Haftungsverhältnisse, die nicht unter § 251 fallen, gehören zu den sonstigen finanziellen Verpflichtungen (vgl. BT-Drs. 16/10067, S. 69f.; dazu auch Beck Bil-Komm. (2022), § 285 HGB, Rn. 150ff.; zudem zur Angabe unter den sonstigen finanziellen Verpflichtungen vor dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) vom 25.05.2009 (BGBl. I 2009, S. 1102ff.) Kortmann (1989), S. 46ff.; Fey (1989), S. 128ff.).
Rn. 64
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Nach dem Wortlaut des § 285 Nr. 3a ist vor der Angabepflicht von Haftungsverhältnissen unter den sonstigen finanziellen Verpflichtungen zu prüfen, ob ggf. eine Angabe unter den "nicht in der Bilanz enthaltenen Geschäften" nach § 285 Nr. 3 erforderlich ist (vgl. mitunter PwC-BilMoG (2009), Abschn. O, Rn. 12ff.; IDW RS HFA 32 (2010), Rn. 24ff.). Unzweifelhaft sind Haftungsverhältnisse, aus denen zum Abschlussstichtag eine Inanspruchnahme nicht zu erwarten ist, nicht in der Bilanz enthaltene Geschäfte (vgl. IDW RS HFA 32 (2010), Rn. 4ff.). Es stellt sich also die Frage, welche Haftungsverhältnisse unter § 251 und welche unter § 285 Nr. 3 oder Nr. 3a fallen.
Rn. 65
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
I.W. bestehen folgende Unterschiede zwischen sonstigen Haftungsverhältnissen und den übrigen sonstigen finanziellen Verpflichtungen: Erstens zeigt die Praxis, dass unter dem Gesamtbetrag der sonstigen finanziellen Verpflichtungen hauptsächlich Dauerschuldverhältnisse (Miet- und Leasingverpflichtungen, Lizenzverträge) sowie vertragliche Verpflichtungen aus schwebenden Bestellungen (Investitionen) angegeben werden (vgl. Treuarbeit (1989), Rn. 229ff.; ebenso § 272 Abs. 1 Nr. 2 HGB-E (1983)). Aus diesen Beispielen wird deutlich, dass den übrigen sonstigen finanziellen Verpflichtungen typischerweise Verträge mit vereinbarter Gegenleistung zugrunde liegen, aus denen eine finanzielle Belastung nahezu sicher erfolgen wird (vgl. HdR-E, HGB § 284–288, Rn. 318ff.). Demgegenüber handelt es sich bei nicht passivierungspflichtigen Haftungsverhältnissen um einseitige Verpflichtungen, aus denen eine Belastung unwahrscheinlich erscheint (vgl. Fey (1989), S. 140ff.).
Rn. 66
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Die Vermerkpflicht nach § 251 entsteht aber zweitens nur, wenn eine vertragliche Bindung vorliegt (vgl. HdR-E, HGB § 251, Rn. 21ff.), während § 285 Nr. 3a eine solche Beschränkung des Verpflichtungsgrunds nicht enthält. Demnach ist ein Passivprozess, in dem ein Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung gegen ein UN geltend gemacht wurde, bei diesem mangels vertraglicher Verpflichtung nicht als Haftungsverhältnis nach § 251, sondern für KapG und Gesellschaften i. S. v. § 264a als sonstiges Haftungsverhältnis nach § 285 Nr. 3 oder Nr. 3a angabepflichtig, soweit keine Rückstellung gebildet wurde.
Rn. 67
Stand: EL 39 – ET: 06/2023
Den nach § 251 anzugebenden Verpflichtungen ist drittens gemeinsam, dass sie unabhängig von der wirtschaftlichen Lage des bilanzierenden UN ein Risiko für die Vermögens- und Finanzlage darstellen und deshalb in Extremfällen die UN-Existenz gefährden können (vgl. HdR-E, HGB § 251, Rn. 4). Dagegen sind nach § 285 Nr. 3a auch Verpflichtungen anzugeben, bei denen etwa wie im Falle von Gewinnverteilungszusagen aus gewährten Genussrechten oder Besserungsscheinen eine Inanspruchnahme nur bei einem positiven Jahresergebnis erfolgt (vgl. zudem § 285 Nr. 15a; im Übrigen HdR-E, HGB §§ 284–288, Rn. 556ff.). Solche Verpflichtungen sind ebenfalls als sonstige Haftungsverhältnisse anzusehen und beruhen außerdem im Gegensatz zu den Haftungsverhältnissen gemäß § 251 häufig auf einer unmittelbaren Gegenleistung (z. B. Hergabe von Kap., Forderungsverzicht). Sie bedeuten zwar eine mögliche finanzielle Belastung für das bilanzierende UN, aber enthalten ein deutlich geringeres Risiko als die Haftungsverhältnisse gemäß § 251, da sie naturgemäß nicht zu einer Insolvenz führen können (vgl. auch Beck HB-S (2021), Kap. Q, Rn. 60 ff.; WP-HB (2021), Rn. F 1044).