Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 71
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Nach den in HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 55ff., genannten Grundsätzen stehen den außenstehenden Aktionären sowohl auf gesellschaftsvertraglicher als auch deliktischer Basis Schadensersatzansprüche zu, wenn die an der Kompetenzüberschreitung beteiligten Personen ein Verschulden trifft. Der Anspruch ist auf Reparation des bei der abhängigen Gesellschaft entstandenen Schadens gerichtet.
Rn. 72
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Schadensersatzansprüche können außerdem von der abhängigen Gesellschaft sowohl gegenüber der beherrschenden Gesellschaft und deren Organwalter, als auch gegenüber ihrem eigenen Vorstand und AR geltend gemacht werden. Als Rechtsgrundlage des gegen das MU gerichteten Anspruchs kann die Treuepflicht nur dann nutzbar gemacht werden, wenn es sich nicht um ein 100 %-iges TU handelt. Anderenfalls bleibt nur § 317 AktG (vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 49). Die Leitungsorgane verstoßen gegen ihre Pflichten aus dem Anstellungsvertrag, wenn sie die rechtswidrigen Leitungsmaßnahmen des MU nicht verhindern. Da von einer qualifiziert faktischen Konzernierung nur auszugehen ist, wenn das MU nicht nur nachteilige Maßnahmen veranlasst, sondern außerdem die eigenständigen Interessen der Gesellschaft missachtet, handelt der Vorstand einer abhängigen AG, KGaA bzw. SE stets pflichtwidrig i. S. v. § 93 Abs. 1f. AktG, wenn er die faktische Einflussnahme nicht unterbindet oder die rechtswidrigen Weisungen der Gesellschaftermehrheit sogar befolgt (vgl. KonzernR (2022), Anhang zu § 317 AktG, Rn. 23; zudem Schneider/Schneider, AG 2005, S. 57 (63f.)). Die Privilegierung des Vorstands durch § 311 AktG unter Modifizierung der allg. Pflichten aus den §§ 79, 93, 116 AktG (vgl. Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 48; ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 76) greift nur, wenn für die vorgenommenen nachteiligen Geschäfte ein Einzelausgleich möglich und auch tatsächlich angestrebt ist.
Rn. 73
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
All diese Schadensersatzansprüche leiden darunter, dass der Nachweis eines adäquat kausal durch die rechtswidrige Konzernierung veranlassten Schadens große Schwierigkeiten bereiten wird. Das gilt auch dann, wenn man die Möglichkeit einer Schätzung des Gesamtverlusts über § 287 ZPO berücksichtigt (vgl. dazu Bollmann (1995), S. 43; MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 317, Rn. 59). Ihre Effektivität steht damit weit hinter dem über die §§ 302ff. AktG erreichten Schutz zurück.