Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Prof. Dr. Peter Dittmar
Rn. 18
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Vorschrift des § 317 allein konkretisiert den Prüfungsumfang nicht hinreichend. Sie setzt vielmehr lediglich die Rahmenbedingungen, innerhalb derer es im pflichtgemäßen Ermessen des AP liegt, im Einzelfall Art und Umfang der Prüfungsdurchführung zu bestimmen. Einen wesentlichen Beitrag zur Ausfüllung des durch die gesetzlichen Vorschriften gesteckten Rahmens leisten die GoA. Sie sind ein "System überindividueller Normen, die das Verhalten von Abschlussprüfern steuern sollen" (Rückle, in: HWRev (2002), Sp. 1026).
Der Terminus "GoA" ist im Unterschied zu den GoB im Gesetz nicht genannt. Allerdings fordert § 323 Abs. 1 die Einhaltung einzelner, hier als GoA bezeichneter Prinzipien, wie die Gewissenhaftigkeit (Sorgfalt), die Unparteilichkeit und die Verschwiegenheit des AP und seiner Gehilfen. Außerdem unterstützt § 319 die GoA der Unabhängigkeit und der Unbefangenheit des AP (vgl. HdR-E, HGB § 319, Rn. 6ff.). Darüber hinaus werden GoA in § 43 WPO für alle WP gesetzlich kodifiziert: "Berufsangehörige haben ihren Beruf unabhängig, gewissenhaft, verschwiegen und eigenverantwortlich auszuüben. Sie haben sich insbesondere bei der Erstattung von Prüfungsberichten und Gutachten unparteiisch zu verhalten" (§ 43 Abs. 1 WPO). "Sie haben sich der besonderen Berufspflichten bewusst zu sein, die ihnen aus der Befugnis erwachsen, gesetzlich vorgeschriebene Bestätigungsvermerke zu erteilen" (§ 43 Abs. 2 Satz 2 WPO; vgl. auch Lück (1991), S. 82ff.; von Wysocki (1988), S. 62ff.; Brösel et al. (2015), S. 81ff.).
Rn. 19
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Neben den im Gesetz ausdrücklich genannten GoA gibt es auch solche, die nicht kodifiziert sind. Die nicht kodifizierten GoA werden z. T. als rechtssatzähnliche Normen charakterisiert (vgl. KK-AktG (1985), § 162, Rn. 16) und sind mit der in der Rechtswissenschaft anerkannten Methode der Hermeneutik i. R.d. Auslegung gesetzlicher Vorschriften zu gewinnen (vgl. Marten/Quick/Ruhnke (2020), S. 183f.; Larenz (1991), S. 195f., 235ff., 298ff.). Hierbei sind die üblichen Auslegungskriterien der hermeneutischen Methode anzuwenden. Zur Auslegung von Gesetzesvorschriften wird auf den Wortlaut bzw. den Wortsinn abgestellt. Ist dieser nicht eindeutig, so kann die Vorschrift anhand des Bedeutungszusammenhangs bzw. der Stellung der Vorschrift im Gesetz ausgelegt werden. Zudem kann auf die Entstehungsgeschichte und die vom Gesetzgeber verfolgten Zwecke sowie auf betriebswirtschaftlich bzw. objektiv-teleologisch ermittelte Zwecke der JA-Prüfung zurückgegriffen werden (vgl. Baetge/Kirsch/Thiele (2021a), S. 107). Die hermeneutische Methode zur Gewinnung von GoA bezieht die überwiegend diskutierten Vorgehensweisen der induktiven und deduktiven Gewinnung von GoA ein (vgl. von Wysocki (1977), S. 175 (178f.); Rückle, in: HWRev (2002), Sp. 1026 (1032)), d. h., dass bei der hermeneutischen Methode sowohl die Ansichten des Berufsstands sowie der Testats- und Berichtsadressaten (Induktionsbasis) als auch betriebswirtschaftlich begründete Prüfungszwecke (Deduktionsbasis) berücksichtigt werden. Die Entscheidung für einen GoA wird folglich unter Einbeziehung einer Vielzahl von Gründen und abwägenden Überlegungen getroffen (vgl. Larenz (1991), S. 195f.).
Rn. 20
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
In § 317 sind keine GoA kodifiziert. Allerdings fließen diese über den Wortlaut des § 317 Abs. 1 Satz 2 – "Die Prüfung des Jahresabschlusses und des Konzernabschlusses hat sich darauf zu erstrecken, ob die gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung beachtet worden sind." – mit in die Vorschrift ein. Die Vorschrift knüpft an Gesetzesvorschriften an, in denen GoA kodifiziert sind oder Zwecke der AP ex- oder implizit festgelegt werden.