Dr. Wolfgang Knop, Dr. Peter Küting
Rn. 1
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
§ 255 (i. d. F. des Bilanzrichtliniengesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355ff.)) war zunächst mit "Anschaffungs- und Herstellungskosten" überschrieben, bevor im Zuge des sog. Bilanzrechtsmodernisierungsgesetzes (BilMoG) vom 25.05.2009 (BGBl. I 2009, S. 1102ff.) die Überschrift in der Weise geändert wurde, als nunmehr von "Bewertungsmaßstäbe[n]" die Rede ist. Dies wurde in konsequenter Weise gehandhabt, da durch das BilMoG im deutschen Bilanzrecht der sog. Fair Value (beizulegender Zeitwert) als Bewertungsmaßstab in Einzelfällen eine gewisse Bedeutung erlangt hat.
Seitdem werden in § 255 zum einen jene grundlegenden Wertbegriffe definiert, mit denen die VG max. angesetzt werden dürfen. Indem diese Wertansätze gemäß § 253 Abs. 1 in keinem Fall überschritten werden dürfen, üben die in § 255 definierten AK und HK insoweit die Funktion einer absoluten Wertobergrenze aus. Der Bewertungsmaßstab des beizulegenden Zeitwerts, der durch das BilMoG für bestimmte VG auch über die AHK hinaus nunmehr zwingend anzuwenden ist (vgl. § 253 Abs. 1 Satz 3f.), stellt demgegenüber zum anderen eine relative Wertobergrenze dar. Während bei einer absoluten Wertobergrenze der einmal festgestellte Wert nicht überschritten werden darf, umschreibt der Begriff der relativen Wertobergrenze den Tatbestand, dass dieser Wert dem Grunde nach beibehalten werden muss, die konkrete Ausprägung des Werts bei Folgebewertungen jedoch sowohl nach unten als auch nach oben von dem ursprünglich einmal festgestellten bzw. ermittelten Wert abweichen kann. Bei den mit diesem als beizulegender Zeitwert bezeichneten Wertmaßstab anzusetzenden VG kann in Folgejahren demnach sehr wohl der Wert zum Zeitpunkt der Anschaffung dieser VG überschritten werden. Nach den handelsrechtlichen RL-Prinzipien, die vor Einführung des BilMoG galten, hatte der beizulegende (Zeit-)Wert nur Bedeutung, sofern er niedriger als die AK war. Der ursprünglich noch im Gesetzentwurf vorgesehene Umfang derjenigen VG, die mit dem beizulegenden Zeitwert (fair value) angesetzt werden sollten, ist auf Empfehlung des Rechtsausschusses durch eine entsprechende Anpassung der §§ 246 Abs. 2, 340e Abs. 3 auf einige wenige Ausnahmefälle reduziert worden (vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 85), mit der Folge, dass bei UN, die nicht Kredit-, Finanzdienstleistungs-, Wertpapier-, Zahlungs- bzw. E-Geld-Institute sind, grds. an der Gültigkeit des AK-Prinzips festgehalten wird.
Rn. 2
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Durch die Fixierung der AK und HK als absolute Wertobergrenze wird grds. das Prinzip der nominellen Kap.-Erhaltung festgeschrieben. Dieser Konzeption "liegt die Vorstellung zugrunde, dass die jeweilige Geldeinheit ein im Zeitablauf konstanter Wertmesser ist, also der Grundsatz ‚Mark = Mark [bzw. Euro = Euro, d.Verf.]’ gilt" (Wöhe (1997), S. 353). Durch die mit dem beizulegenden Zeitwert vorzunehmende Bewertung für bestimmte VG wird insoweit das Prinzip der nominellen Kap.-Erhaltung in Einzelfällen aufgegeben.
Kompensiert wird dies durch die Einführung einer Ausschüttungs- bzw. Abführungssperre, indem gemäß §§ 268 Abs. 8 bzw. 301 AktG in Höhe dieser zwar realisierbaren, aber noch nicht realisierten Gewinne eine Gewinnverwendung nicht stattfinden darf (vgl. BT-Drs. 16/12407, S. 87).
Rn. 3
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Mit Hilfe der in § 255 definierten Wertgrößen der AK und HK strebt der Gesetzgeber vom Grundsatz her an, den Anschaffungs- bzw. Herstellungsvorgang soweit wie möglich erfolgsneutral – als reine Vermögensumschichtung – zu behandeln. Dies gilt bei der Zugangsbewertung wohl auch bei denjenigen VG, die mit dem beizulegenden Zeitwert anzusetzen sind, da in aller Regel davon auszugehen ist, dass im Zeitpunkt der Anschaffung der beizulegende Zeitwert identisch mit den AK sein dürfte. Festzustellen ist, dass der Gesetzgeber im Zuge des BilMoG mit der Aktivierungspflicht weiterer Kostenelemente der HK dem Prinzip der Erfolgsneutralität verstärkt Rechnung getragen hat, sich hinsichtlich der AK diesbezüglich aber keine Änderungen ergeben haben. Erfolgsneutralität besagt, dass die durch Anschaffung oder Herstellung bedingte Veränderung eines Bilanzpostens (z. B. die Verminderung der Zahlungsmittel) gerade ausgeglichen werden soll durch die Veränderung eines anderen Bilanzpostens (z. B. die Erhöhung der Vorräte): Durch die Anschaffung oder Herstellung soll sich eine Vermögensumschichtung ergeben, keine Vermögensmehrung oder -minderung (vgl. Moxter (2007), S. 184), so dass hierdurch die GuV nicht tangiert wird. Erfolgsneutralität ist dabei auf eine einzige Betrachtungsperiode sowie auf das Ziel einer periodengerechten Erfolgsermittlung gerichtet. Über mehrere Perioden hinweg gleicht sich eine Verletzung der Erfolgsneutralität i. d. R. wieder aus. Die Anschaffung bzw. Herstellung soll möglichst Einfluss allein auf die Beständebilanz nehmen und die Erfolgsrechnung – vom Ergebnis her – unberührt lassen. Ein Überschreiten der AK und HK würde einen Verstoß gegen den Gewinnausw...