Dr. Alfred Simlacher, Dr. Stephan Vossel
Rn. 482
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Mit Ablauf des steuerlichen Übertragungsstichtags endet die steuerliche Existenz des übertragenden Rechtsträgers. Obwohl nach diesem Zeitpunkt keine Steuerbe- oder -entlastungen mehr eintreten können, erfordert die anzuwendende Annahme der Unternehmensfortführung (vgl. § 252 Abs. 1 Nr. 2) den Ansatz von latenten Steuern in der handelsrechtlichen Schlussbilanz (vgl. Vossel (2012), S. 314). Für einen Überhang an passiven latenten Steuern besteht eine Ansatzpflicht. Ergibt sich ein Überhang an aktiven latenten Steuern und wurden diese im JA angesetzt, sind diese in der handelsrechtlichen Schlussbilanz wegen der Ansatzstetigkeit (vgl. § 246 Abs. 3 Satz 1) grds. beizubehalten. Indes kann eine Schlussbilanz wegen ihres Charakters einer Sonderbilanz einen begründeten Ausnahmefall einer Durchbrechung der Ansatz-, Bewertungs- und Darstellungsstetigkeit darstellen (vgl. IDW RS HFA 42 (2012), Rn. 17). Dies ist bspw. bei Anwendung der Buchwertverknüpfung (vgl. § 24 UmwG) gegeben (vgl. Kallmeyer: UmwG (2020), § 17, Rn. 30). Zudem rechtfertigt auch das Ziel, eine Anpassung an die Ansatzgrundsätze des übernehmenden Rechtsträgers herbeizuführen, eine Durchbrechung der Stetigkeit.
Rn. 483
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die Ermittlung von latenten Steuern bewegt sich im Spannungsfeld zwischen der Anwendung der Regelungen, wie sie für die (vergangenheitsorientierte) Jahresbilanz gelten (vgl. § 17 Abs. 2 Satz 2 UmwG) und der Konzeption des § 274 HGB, die zukunftsgerichtet auf Steuerbe- und -entlastungen unter Berücksichtigung der künftigen steuerlichen Verhältnisse abstellt. Für die handelsrechtliche Schlussbilanz finden im Zweifel die (vergangenheitsorientierten) Regelungen zum JA Anwendung. Dies zeigt sich darin, dass Forderungen und Verbindlichkeiten gegenüber dem übernehmenden Rechtsträger beizubehalten (vgl. Schmitt/Hörtnagl/Stratz (2020), § 17 UmwG, Rn. 26) oder Rückstellungen, deren Grund i. R.d. Verschmelzung entfällt, nicht aufzulösen sind (vgl. Beck HB-S (2021), Kap. H, Rn. 107). Ertragsteuerrückstellungen für einen verschmelzungsbedingten Übertragungsgewinn dürfen nicht angesetzt werden (vgl. IDW RS HFA 42 (2012), Rn. 20; Beck HB-S (2021), Kap. H, Rn. 109), ebenso Steuerforderungen, die durch die Umwandlung entstehen (vgl. mit a. A. Schmitt/Hörtnagl/Stratz (2020), § 17 UmwG, Rn. 26).
Rn. 484
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die deutliche Orientierung an den Rechtsverhältnissen der Vergangenheit sowie zum Stichtag der Schlussbilanz impliziert, dass auf die steuerlichen Verhältnisse zum steuerlichen Übertragungsstichtag abzustellen ist (vgl. Vossel (2012), S. 309). Findet wegen der steuerlichen Rückwirkungsfiktion (vgl. § 2 Abs. 1 UmwStG) ein Rückbezug von Sachverhalten sowie deren Würdigung zum steuerlichen Übertragungsstichtag statt, sind die steuerlichen Wirkungen auch für die Ermittlung der latenten Steuern in der handelsrechtlichen Schlussbilanz zu berücksichtigen. Bspw. löst die Entscheidung über den Wertansatz des Vermögens in der steuerlichen Schlussbilanz eine Besteuerungswirkung zum steuerlichen Übertragungsstichtag aus (z. B. Steuerschuld durch Ansatz des gemeinen Werts des übertragenen Vermögens), auch wenn die für die Verschmelzung erforderlichen zivilrechtlichen Voraussetzungen und die Aufstellung der Schlussbilanz zu einem deutlich späteren Zeitpunkt erfolgt.
Die vergangenheitsorientierte Sichtweise verbietet zudem die Einbeziehung der künftigen steuerlichen Ergebnissituation des übernehmenden Rechtsträgers, insbesondere im Hinblick auf die Werthaltigkeit von aktiven latenten Steuern (vgl. mit a. A. Schmitt/Hörtnagl/Stratz (2020), § 17 UmwG, Rn. 26). Auch der Wechsel des Besteuerungsregimes (z. B. Übergang des Vermögens von einer KapG auf eine PersG oder umgekehrt) rechtfertigt keine Umbewertung der latenten Steuern auf den künftig zu berücksichtigenden Steuersatz.
Rn. 485
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die zukunftsgerichtete Sichtweise des § 274 gilt in nur sehr eingeschränkter Form. Sie zeigt sich bspw. in dem Postulat, dass aktive latente Steuern auf Verlust- und Zinsvorträge nicht einzubeziehen sind, weil der übernehmende Rechtsträger wegen der Gesamtrechtsnachfolge in die steuerliche Rechtsstellung des übertragenden Rechtsträger eintritt, nicht aber im Hinblick auf diese steuerlichen Verrechnungspotenziale (vgl. Oser, StuB 2021, S. 717 (721); Kallmeyer: UmwG (2020), § 17, Rn. 30; Schmitt/Hörtnagl/Stratz (2020), § 17 UmwG, Rn. 26).
Rn. 486
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die dargestellten Ermittlungsgrundsätze setzen indes voraus, dass Informationen über die Verschmelzung sowie von relevanten Umständen im Zeitpunkt der Aufstellung der Schlussbilanz bekannt sind oder im Aufstellungszeitraum bekannt werden und werterhellenden Charakter aufweisen. Wird eine gesonderte Schlussbilanz für Zwecke der Verschmelzung und – i. d. R. – zu einem vom BilSt abweichenden Stichtag aufgestellt, liegen verschmelzungsspezifische Informationen vor, die in der Schlussbilanz berücksichtigt werden können. Wird hingeg...