Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 131
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Handelsrechtlich sind Verbindlichkeiten unabhängig von ihrer (Rest-)Laufzeit und der Verzinslichkeit mit dem Erfüllungsbetrag anzusetzen und (mit Ausnahme von Rentenverbindlichkeiten) nicht abzuzinsen (vgl. § 253 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3). Steuerrechtlich sind Verbindlichkeiten gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG unter sinngemäßer Anwendung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu AK bzw. bei dauernder Werterhöhung (wahlweise) mit dem höheren Teilwert zu bewerten. Steuerlich ist die Verbindlichkeit abzuzinsen, der Abzinsung ist ein Zinssatz von 5,5 % zugrunde zu legen. Ausgenommen von der Abzinsung sind Verbindlichkeiten, deren Laufzeit am BilSt weniger als zwölf Monate beträgt, und Verbindlichkeiten, die verzinslich sind oder auf einer Anzahlung oder Vorausleistung beruhen, da eine Passivierung der Verpflichtung mit dem abgezinsten Wert bei gleichzeitigem Aktivzugang von Anzahlungen/Vorausleistungen zu AK den Ausweis nicht realisierter Gewinne zur Folge hätte (vgl. BT-Drs. 14/443, S. 23). Die Abzinsung ist auch bei anzuerkennenden zinslosen Angehörigendarlehen vorzunehmen (vgl. BFH, Urteil vom 13.07.2017, IV R 62/15, BStBl. II 2018, S. 15: keine verfassungsrechtlichen Bedenken). Eine vom Abzinsungsgebot ausgenommene verzinsliche Verbindlichkeit liegt dem Gesetzeswortlaut nach bei Vereinbarung eines Zinssatzes von (geringfügig) mehr als 0 % vor, eine Mindestverzinsung ist gesetzlich nicht vorgesehen (vgl. BMF, Schreiben vom 26.05.2005, IV B 2 – S 2175 – 7/05, BStBl. I 2005, S. 699ff. (Rn. 13); sodann BFH, Urteil vom 29.06.2009, I B 57/09, BFH/NV 2009, S. 1804; ferner BFH, Urteil vom 13.07.2017, VI R 62/15, BStBl. II 2018, S. 15 (obiter dictum)). Bei formal unverzinslichen Verbindlichkeiten kann die Verzinslichkeit auch durch verdeckte Zinsleistungen wirtschaftlich begründet sein (vgl. BFH, Urteil vom 22.5.2019, X R 19/17, BStBl. II 2019, S. 795), z. B. bei einer Verpflichtung zur unentgeltlichen Überlassung eines WG des BV oder in einer Verwendungs-/Weitergabeauflage des Vorteils, wie bei Weiterleitungsdarlehen von Förderbanken (vgl. BMF, Schreiben vom 29.03.2019, S 2175/07/10001 :003, FR 2019, S. 489).
Wird für ein unverzinslich vereinbartes Darlehen eine Verzinsungsabrede nachträglich getroffen, ist bis zum Zeitpunkt der Vertragsänderung eine Abzinsung vorzunehmen (vgl. BFH, Urteil vom 22.5.2019, X R 19/17, BStBl. II 2019, S. 795). Die Rspr. nimmt ein verzinsliches Darlehen i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG bereits dann an, wenn die Verzinsungsabrede zwar vor dem BilSt erfolgt, der Zinslauf indes erst danach beginnt (vgl. BFH, Urteil vom 18.09.2018, XI R 30/16, XI R 30/16, BStBl. II 2019, S. 67). Eine Abzinsung scheidet demnach bereits aus, wenn zum BilSt eine künftige Verzinslichkeit feststeht. In extremen Einzelfällen (etwa: kurzfristige Marginalverzinsung) kann eine missbräuchliche Gestaltung i. S. v. § 42 AO vorliegen (vgl. BMF, Schreiben vom 01.07.1999, IV C 2 – S 2175 – 21/99, BStBl. I 1999, S. 818; Kanzler, FR 2019, S. 190; Tiede, StuB 2019, S. 82 (84)). Unerheblich ist die tatsächliche Zinszahlung bei Fälligkeit; die Stundung von Zinsforderungen bzw. Überführung in ein weiteres Darlehen ist für die Annahme der Verzinslichkeit unschädlich (vgl. BMF, Schreiben vom 26.05.2005, BStBl. I 2005, S. 699ff. (Rn. 13); BFH, Urteil vom 29.06.2009, I B 57/09, BFH/NV 2009, S. 1804).
Bei einer (Rest-)Laufzeit von weniger als zwölf Monaten ist nicht abzuzinsen. Die Darlehenslaufzeit bemisst sich grds. nach Maßgabe der zivilrechtlich verbindlichen Verträge; dies gilt (vorbehaltlich § 42 AO) auch, wenn ein für die Dauer von weniger als 12 Monaten gewährtes Darlehen auf der Grundlage einer eigenständigen Vereinbarung für einen weiteren Zeitraum von weniger als zwölf Monaten verlängert wird (sog. Kettendarlehen; vgl. FG Köln, Urteil vom 12.02.2009, 13 K 1570/06, EFG 2009, S. 969 (rechtskräftig); FG Köln, Urteil vom 12.02.2009, 13 K 1572/06, EFG 2009, S. 973 (rechtskräftig)). Schwierigkeiten bereitet das Abzinsungsgebot bei Verbindlichkeiten, deren Laufzeit ungewiss ist; hier ist die wahrscheinliche Restlaufzeit im Einzelfall zu schätzen (vgl. BFH, Beschluss vom 05.01.2011, I B 118/10 BFH/NV 2011, S. 986; Hauber/Kieser, BB 2000, S. 1511 (1512ff.); van de Loo, DStR 2000, S. 508 (509)). Von den steuerlichen Abzinsungsausnahmen des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG abgesehen, weichen HB und StB damit regelmäßig in der Abzinsungsfrage ab. Die Höhe der Abweichung wird durch den Abzinsungssatz bestimmt. Der gesetzlich vorgesehene Abzinsungssatz i. H. v. 5,5 % begegnet in der gegenwärtig anhaltenden Niedrigzinsphase sowie vor dem Hintergrund des BVerfG-Beschlusses zur Verfassungswidrigkeit der fixen Vollverzinsung von 0,5 % pro Monat nach § 233a AO seit 2019 (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.07.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, HFR 2021, S. 922) erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. FG Hamburg, Beschluss vom 31.01.2019, 2 V 112/18, EFG 2019, S. 525 (rechtskräftig für die VZ 2013–2015); H/H/R (2021), § ...