Prof. Dr. Karlheinz Küting, Dr. Michael Reuter
Rn. 158
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Im Zuge des BilRUG wurde für GJ, die nach dem 31.12.2015 begonnen haben, eine weitere nach gesetzlichen Vorgaben zu bildende Rücklage etabliert (vgl. § 272 Abs. 5). In diese sind für Zwecke des Kap.- und Gläubigerschutzes bestimmte Beteiligungserträge einzustellen. Mit dieser Regelung wurde über das Instrument der zwingenden Bildung einer ausschüttungsgesperrten Rücklage für bereits erfolgswirksame, jedoch (rechtlich) unsichere Beteiligungserträge eine Ausschüttungssperre für die entsprechenden Beträge geschaffen. Damit wurde – freilich nicht unumstritten – nicht nur die Vorgabe des Art. 9 Abs. 7 lit. c) der Bilanz-R 2013/34/EU (ABl. EU, L 182/19ff. vom 29.06.2013, ABl. EU, L 330/1ff. vom 15.11.2014, ABl. EU, L 334/86f. vom 21.11.2014, ABl. EU, L 429/1ff. vom 01.12.2021, ABl. EU, L 322/15ff. vom 16.12.2022, ABl. EU (Reihe L) – (EU) 2023/2864 vom 20.12.2023, ABl. EU (Reihe L) – (EU) 2023/2775 vom 21.12.2023), sondern zugleich auch die höchstrichterliche (EU-)Rspr. in deutsches Recht umgesetzt (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 272 HGB, Rn. 315; MünchKomm. HGB (2024), § 272, Rn. 130; im Übrigen sodann grundlegend Hassler (2022), S. 116ff., m. w. N.). Mit dieser Rücklage für ausschüttungsgesperrte Beteiligungserträge soll verhindert werden, dass eine phasengleiche Gewinnausschüttung von einer Beteiligungsgesellschaft über eine Anteilseignergesellschaft zu deren Gesellschafter möglich ist, obwohl diese noch nicht (zivil-)rechtlich entstanden oder zugeflossen ist. Ein entsprechender Ertrag aus einer Beteiligung fiel damit nur dann unter diese verpflichtende Regelung, sofern er bilanzrechtlich bereits als realisiert und damit bilanzierungspflichtig oder zumindest -fähig gilt, zivil- bzw. gesellschaftsrechtlich jedoch noch nicht entstanden ist (Auseinanderfallen von zivil- und bilanzrechtlicher Einordnung). Unter Berücksichtigung des Vorsichtsprinzips sowie der Generalnorm könnte ein solcher Sachverhalt in praxi offensichtlich nur in solchen Fällen vorkommen, in denen ein erst künftig (rechtlich) entstehender, aber zum BilSt (potenziell) einklagbarer Gewinnanspruch als quasi-sicher bereits bilanziert wird.
Rn. 159
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die Vorschrift des § 272 Abs. 5 ist sprachlich missglückt. Nach Haaker etwa ist besagte Vorschrift gar ganz "ohne Anwendungsbereich und die Übernahme in deutsches Bilanzrecht als überflüssig zu kritisieren" (Bonner-HdR (2019), § 272 HGB, Rn. 113). Dem ist zuzustimmen. Kern der strittigen Diskussion um jene Regelung ist die Frage nach der "richtigen" Auslegung des gesetzlich nicht näher konkretisierten Terminus "Anspruch" (vgl. dazu die abwägende Einordnung bei ADS (2024), § 272 HGB, Rn. 367ff., m. w. N.; MünchKomm. HGB (2024), § 272, Rn. 131ff.). Sind bilanzrechtlich nämlich die Kriterien für eine phasengleiche Gewinnrealisierung gegeben, stehen – so unstreitig die h. M. – der zivilrechtlichen Entstehung des betreffenden Anspruchs (dem Grunde nach) keine wesentlichen Risiken mehr entgegen, so dass einer Realisierung der "so gut wie sicheren" Dividendenerträge sowie einer korrespondierenden Aktivierung des maßgeblichen Zahlungsanspruchs (Forderung) nichts im Wege steht. Insoweit läuft die Ausschüttungssperre bei phasengleicher Dividendenrealisation "ins Leere" (Haaker, DB 2015, S. 510; vgl. überdies Hermesmeier/Heinz, DB 2015, Beilage Nr. 5 zu Heft 36, S. 20 (23); Oser/Orth/Wirtz, DB 2015, S. 1729 (1734); Beck Bil-Komm. (2022), § 272 HGB, Rn. 316; BeckOGK-HGB (2023), § 272, Rn. 250f.; BilR-Komm. (2022), § 272, Rn. 236; NWB HGB-Komm. (2023), § 272, Rn. 93a; Haufe HGB-Komm. (2023), § 272, Rn. 214f.). Auf einen "Anspruch" im zivilrechtlichen Sinne kommt es damit im Bilanzrecht nicht an (vgl. mit a. A. AKBR, BB 2015, S. 876; MünchKomm. HGB (2024), § 272, Rn. 131). Ganz i. d. S. auch der federführende BT-Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz: Es ist darauf hinzuweisen, dass es für die Entstehung eines Anspruchs i. S. d. § 272 Abs. 5 genügt, dass die KapG den "Beteiligungsertrag so gut wie sicher vereinnahmen wird, auch wenn ein Beschluss des Beteiligungsunternehmens zur Gewinnverwendung noch aussteht. Das dürfte in der Regel anzunehmen sein, wenn die Kapitalgesellschaft Erträge aus einem Tochterunternehmen vereinnahmt. Auf einen Anspruch im Rechtssinne kommt es dabei nach Auffassung des Ausschusses nicht an" (BT-Drs. 18/5256, S. 81f.). Soweit gleichwohl auf den zivilrechtlichen Anspruch abgestellt würde, hätte dies im Übrigen zur Folge, dass mit dieser Ausschüttungssperre die mit der seit der sog. Tomberger-Entscheidung des EuGH (vgl. Urteil vom 27.06.1996, C-234/94, DStR 1996, S. 1093ff.) mögliche Aktivierung bewirkte wirtschaftliche Vereinnahmung erst künftiger (zivilrechtlicher) Gewinnansprüche erheblich konterkariert würde.
Auch das in diesem Zusammenhang ebenfalls vorgebrachte Argument, Art. 9 Abs. 7 lit. c) der Bilanz-R verlange ausdrücklich eine Ausschüttungssperre, weshalb diese Vorgabe 1:1 umzusetzen sei, da anderenfalls das Risiko einer Vertra...