Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 3
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 311 AktG erfasst nur die Ausgleichspflicht gegenüber AG, KGaA und SE, die in einem Abhängigkeitsverhältnis gegenüber einem herrschenden UN stehen, mit dem weder ein BHV geschlossen noch ein Eingliederungsverhältnis begründet wurde.
I. Abhängigkeit von einem beherrschenden Unternehmen
1. Abhängigkeitsverhältnis
Rn. 4
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 311 AktG setzt ein Abhängigkeitsverhältnis i. S. d. § 17 AktG zwischen dem MU und der beherrschten AG, KGaA oder SE voraus (vgl. zu Einzelheiten HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 8). Nach § 17 Abs. 2 AktG wird im Falle einer grds. für § 311 AktG nicht ausreichenden bloßen Mehrheitsbeteiligung (vgl. § 16 AktG) ein Abhängigkeitsverhältnis vermutet. Konzernverbindungen werden zwar nicht vorausgesetzt, stehen andererseits aber der Anwendbarkeit des § 311 AktG auch nicht entgegen. Für den Sonderfall der qualifiziert faktischen Konzernierung bieten die §§ 311ff. AktG allerdings keinen hinreichenden Schutz, da hier ein Einzelnachteilsausgleich nicht möglich ist (vgl. zu den Rechtsfolgen HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 64ff.). Bei Gemeinschafts-UN besteht das erforderliche Abhängigkeitsverhältnis zu jedem der MU. Die Ausgleichspflicht nach § 311 AktG trifft nur diejenige der beherrschenden Gesellschaften, die die nachteilige Maßnahme veranlasst hat.
2. Unternehmereigenschaft
Rn. 5
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Ausgleichspflicht des § 311 AktG richtet sich ebenso wie die Folgepflichten der §§ 312–318 AktG nur an "Unternehmen", die als beherrschende Gesellschafter auftreten (vgl. zu Einzelheiten HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 9ff.). Nur bei beherrschenden UN besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts, der den Unternehmer zu nachteiligen Weisungen veranlassen könnte. Der Unternehmerbegriff ist normspezifisch unter Berücksichtigung des Regelungszwecks von § 311 AktG zu interpretieren. Abweichend vom handelsrechtlichen Unternehmerbegriff (vgl. Schmidt (2014), S. 76ff.; § 14 Abs. 1 BGB) ist als Unternehmer (UN-Träger) i. S. d. Aktienkonzernrechts jede natürliche oder juristische Person (auch des öffentlichen Rechts; vgl. dazu HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 11) einzustufen, die neben ihrer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft weitere wirtschaftliche Interessen verfolgt, die eine Einflussnahme zum Nachteil der abhängigen Gesellschaft ernsthaft befürchten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 17.03.1997, II ZB 3/96, BGHZ 135, S. 107 (113); BAG, Urteil vom 08.03.1994, 9 AZR 197/92, BAGE 76, S. 79 (83f.); BFH, Urteil vom 23.03.2011, X R 45/09, NZG 2011, S. 916 (919f.)).
II. Fehlende vertragliche und rechtliche Absicherung der Leitungsmacht
1. Systembedingte Schranken des Anwendungsbereichs
Rn. 6
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Anwendbarkeit von § 311 AktG als der Zentralnorm des Rechts der faktischen UN-Verbindung bedingt, dass zwischen den beteiligten UN kein BHV gemäß den §§ 291ff. AktG besteht. Bei Vereinbarung eines solchen im Laufe eines GJ bleibt § 311 AktG bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses trotz der Verlustübernahmepflicht für das gesamte GJ anwendbar (vgl. ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 9; Henssler/Strohn (2021), § 311 AktG, Rn. 6; Friedl, NZG 2005, S. 875 (876ff.)). § 323 Abs. 1 Satz 2 AktG ergänzt die im Wortlaut des § 311 AktG angelegte Einschränkung des Anwendungsbereichs und klammert auch die Eingliederungsverhältnisse von den Rechtsfolgen der §§ 311ff. AktG aus. Ist zwischen der abhängigen Gesellschaft und dem beherrschenden UN ein GAV abgeschlossen worden, so berührt dies die Ausgleichspflicht nach § 311 AktG dagegen ebenso wenig wie die Verantwortlichkeit des beherrschenden UN nach § 317 AktG. § 316 AktG lässt in diesen Konstellationen nur die Pflicht zur Erstellung eines Abhängigkeitsberichts sowie die Sanktionierung unzureichender Berichte durch eine Sonderprüfung (vgl. §§ 312–315 AktG) entfallen (vgl. zur Stimmigkeit dieses Gesamtkonzepts HdR-E, Einf AktG §§ 311–318, Rn. 5f.). Sonstige UN-Verträge i. S. v. § 292 AktG wirken sich auf die Anwendbarkeit des § 311 AktG ebenfalls nicht aus.
2. Mehrstufige Abhängigkeitsverhältnisse
Rn. 7
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Abgrenzungsschwierigkeiten ergeben sich in mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnissen, in denen es zu einer Kombination vertraglich und faktisch abgesicherter Herrschaftsverhältnisse kommt (vgl. dazu zusammenfassend MünchKomm. AktG (2020), Anhang zu § 311, Rn. 1ff.; KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 17ff.; ADS (1997), § 311 AktG, Rn. 12ff.; Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 12; KK-AktG (2004), Vorbemerkungen zu § 311, Rn. 29ff.; BeckOGK-AktG (2022), § 311, Rn. 70ff.). Im Grundsatz gilt: Die Unanwendbarkeit der §§ 311ff. AktG bezieht sich nur auf das unmittelbare Verhältnis zwischen den Partnern des BHV. Auf der Basis dieses Grundsatzes lassen sich viele Konstellationen beurteilen. So schließt ein zwischen dem MU und dem TU bestehender BHV die Ausgleichspflicht dieser beiden Gesellschaften gemäß den §§ 311ff. AktG im Verhältnis zu einem EU nicht aus. Ist das EU sowohl mit dem MU als auch mit dem TU beherrschungsvertraglich verbunden, so kann es gleichwohl im Verhältnis zwischen MU und TU zur Geltung der §§ 311ff. AktG kommen.
Rn. 8
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Nicht mit gleicher Eindeutigkeit beurteilen lässt sich dagegen die Fra...