Prof. Dr. Jens Poll, Ingrid Kalisch
I. Allgemeines
Rn. 19
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Das grds. Verbot des Erwerbs eigener Aktien ist mit Rücksicht auf seinen Zweck und systematischen Charakter als Ausnahmevorschrift von § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG eng auszulegen. Die vom Gesetz in § 71 Abs. 1 AktG angenommene abstrakte Interessengefährdung genügt deshalb (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 3) für die grds. Unzulässigkeit des Erwerbsgeschäfts. Die Beweislast für das Vorliegen einer Ausnahme und damit die Zulässigkeit des Erwerbs trägt, wer sich auf einen Ausnahmetatbestand beruft (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 3).
II. Aktien
Rn. 20
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Eigene Aktien i. S. d. § 71 AktG sind alle Mitgliedschaften in betreffender AG/KGaA/SE ohne Rücksicht auf Verkörperung und Gattung sowie darauf, ob sie voll eingezahlt sind oder nicht (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71 AktG, Rn. 336; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 4). Die Unterscheidung zwischen voll eingezahlten und nicht voll eingezahlten Aktien spielt lediglich bei den Ausnahmen vom Erwerbsverbot eine gewisse Rolle (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71, Rn. 336).
Rn. 21
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Unter den Aktienbegriff fallen Zwischenscheine, die das Mitgliedschaftsrecht vorläufig bis zur Ausgabe der Aktienurkunden und ebenso wie diese verbriefen (vgl. § 8 Abs. 6 AktG). Gleichsam unterfallen ihm Miteigentumsanteile an eigenen Aktien, wie die Rechte des Hinterlegers bei der Girosammelverwahrung nach den §§ 5ff. DepotG (vgl. MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 101).
Rn. 22
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Für die Anwendbarkeit des § 71 AktG kommt es ferner nicht darauf an, ob über das Mitgliedschaftsrecht eine Urkunde ausgestellt ist oder nicht (vgl. MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 101).
Rn. 23
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Nicht unter das Erwerbsverbot fallen dagegen Schuldverschreibungen, Wandelschuldverschreibungen, Optionsanleihen oder Genussrechte, da diese lediglich Gläubigerrechte sowie ggf. ein Umtausch- oder Bezugsrecht auf Aktien der Gesellschaft begründen (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71, Rn. 336; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 5; MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 103). Zulässig ist ferner der Erwerb von Dividendenscheinen. Ein Bezugsrecht ist keine Mitgliedschaft i. S. d. § 71 AktG und daher gleichfalls nicht vom Erwerbsverbot erfasst. Zum Bezugsrecht beachte auch § 71b AktG (i. V. m. § 71d Satz 4 AktG). Solange die Gesellschaft gleichzeitig Gläubigerin und Schuldnerin aus diesen Papieren ist, kann sie jedoch die Rechte daraus nicht ausüben. Insbesondere ist sie von der Ausübung des Bezugsrechts bei Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen ausgeschlossen (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71, Rn. 153; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 5; MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 103). Eine Verwertung kann lediglich im Wege der Veräußerung erfolgen (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 5).
III. Erwerb
Rn. 24
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Als Erwerb ist jedes Rechtsgeschäft anzusehen, das eine AG/KGaA/SE dauerhaft oder vorübergehend zum Inhaber oder Mitinhaber der Aktie macht oder einen schuldrechtlichen Titel für einen solchen Erwerb schafft (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 4).
Rn. 25
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Darunter fällt die Abtretung nach den §§ 398ff., 413 BGB sowie die Übereignung nach den §§ 929ff. BGB (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 4).
Rn. 26
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Welche Art schuldrechtlicher Titel den Anspruch auf Übereignung nach den §§ 929ff. BGB oder Übertragung nach den §§ 398ff., 413 BGB begründet, ist unerheblich (vgl. Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 4). So kommen z. B. folgende schuldrechtliche Titel in Frage: Kauf, Tausch, Schenkung, unregelmäßige Verwahrung nach § 700 BGB, §§ 13, 15 DepotG, Kommission oder Zuschlag in der Zwangsversteigerung sowie u. U. Sicherungs- und sonstige Treuhandabreden. Als Erwerb i. d. S. ist auch der Selbsteintritt einer AG/KGaA/SE beim kommissionsweisen Verkauf (vgl. § 400 Abs. 1) sowie das Repo- und Depotgeschäft in eigenen Aktien anzusehen.
Rn. 27
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Besonders gesetzlich geregelt ist die Inpfandnahme eigener Aktien (vgl. § 71e AktG). Danach ist die Inpfandnahme i.W. dem Erwerb gleichgestellt (vgl. zu Einzelheiten § 71e AktG). Als Erwerbsgeschäft ist auch die Sicherungsübereignung anzusehen (vgl. MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 79).
Rn. 28
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Dagegen sind weder die Verwaltungstreuhand noch die Legitimationsübertragung als Erwerb von Aktien anzusehen. Typischerweise betreffen weder die Verwaltungstreuhand noch die Legitimationsübertragung vermögensrechtliche Belange einer AG/KGaA/SE, so dass § 71 AktG als Instrument der Kap.-Erhaltung hier nicht zum Schutz der Gläubiger betreffender Gesellschaft heranzuziehen ist (vgl. AktG-GroßKomm. (2018), § 71, Rn. 146f.; Hüffer-AktG (2024), § 71, Rn. 6; MünchKomm. AktG (2024), § 71, Rn. 95f.).
Rn. 29
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Aufgrund des § 158 Abs. 2 BGB ist der "Rückerwerb" eigener Aktien nach Eintritt einer auflösenden Bedingung kein Erwerbsfall. Ebenfalls nicht erfasst ist der Erwerb einer Beteiligung an einer and...