Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 38
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Fraglich ist, ob mit dem Verweis auf die handelsrechtlichen GoB nur die rechtsform- und branchenunabhängig für alle Kaufleute geltenden handelsrechtlichen GoB steuerrechtlich relevant werden oder darüber hinaus auch rechtsform- oder branchenspezifische GoB angesprochen sind. Unter Hinweis auf eine mangelnde Vereinbarkeit der Maßgeblichkeit rechtsform-/branchenspezifischer GoB mit dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung wird in der Literatur die Forderung nach Rechtsformneutralität handelsrechtlicher GoB erhoben und insoweit eine Maßgeblichkeit rechtsform-/branchenspezifischer GoB abgelehnt (vgl. Moxter, ZGR 1980, S. 254 (264ff.); Leffson (1987), S. 152ff.; Ballwieser, BFuP 1990, S. 477 (479); Beisse, BB 1990, S. 2007 (2008); Mathiak, BFuP 1990, S. 546 (548); Beisse, DStZ 1998, S. 310 (314); Ballwieser, in: FS Budde (1995), S. 43 (48f.); Hennrichs, StuW 1999, S. 138 (150)). Demnach kann für Zwecke der Besteuerung grds. allein das gleichmäßig für alle Kaufleute unabhängig von ihrer Rechtsform geltende Handelsbilanzrecht materiell maßgeblich sein, und dies auch nur, soweit es tatsächlich allg. geltende (gesetzlich kodifizierte und nicht-kodifizierte) handelsrechtliche GoB zum Ausdruck bringt. Das bedeutet aber, dass insbesondere der für KapG und ihnen qua § 264a gleichgestellte PersG in § 264 Abs. 2 Satz 1 ergänzend festgeschriebene Grundsatz des "true and fair view" keine Bindungswirkung für die steuerliche Gewinnermittlung entfalten kann, da dieser gerade nicht zum allg. Bilanzrecht und damit zu den rechtsform-/branchenunabhängigen GoB gehört (vgl. dazu Beisse, in: FS Beusch (1993), S. 77 (90f.); Beisse, StVj 1989, S. 295 (297f., 305ff.); Mathiak, in: FS Beisse (1997), S. 323 (325); Tipke/Lang (2021), § 9, Rn. 84ff.)
Rn. 39
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Rspr. und h. M. gehen demgegenüber zutreffend davon aus, dass durch § 5 Abs. 1 Satz 1 (1. Halbsatz) EStG über die für alle Kaufleute geltenden GoB hinaus für KapG ebenso wie haftungsbeschränkte PersG i. S. d. § 264a zusätzlich die ergänzenden Vorschriften der §§ 264ff. in Bezug genommen werden, soweit ihnen GoB-Qualität (Spezial-GoB) beizumessen ist (vgl. BFH, Urteil vom 30.11.2005, I R 26/04, BFH/NV 2006, S. 616; BFH, Urteil vom 25.08.2010, I R 103/09, BStBl. II 2011, S. 215; BFH, Urteil vom 01.12.2012, I R 69/11, BStBl. II 2017, S. 1232f.; BFH, Urteil vom 06.02.2013, I R 62/11, BStBl. II 2013, S. 954f.; BFH, Urteil vom 06.05.2015, I R 7/14, BFH/NV 2016, S. 69; BFH, Urteil vom 07.09.2016, I R 23/15, BStBl. II 2017, S. 472f.; H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 251; Blümich (2021), § 5 EStG, Rn. 207). Die Relevanz rechtsform-, banken- und versicherungsspezifischer GoB bleibt jeweils auf die Gruppe der adressierten Steuerpflichtigen beschränkt (vgl. HB-BilStR (2021), Rn. 392). Eine fehlende Gleichmäßigkeit der Besteuerung durch die Maßgeblichkeit rechtsform-/branchenabhängiger GoB steht unter Berücksichtigung der gleichmäßig wirkenden steuerlichen Ansatz- und Bewertungsvorbehalte nicht zu befürchten. Mangels abschließender Abgrenzung rechtsform-/branchenspezifischer GoB ist der so bestimmte Verweisumfang allerdings (noch) nicht hinreichend scharf konturiert. Vorschriften über die Gliederung der Bilanz (vgl. §§ 266ff.) und GuV (vgl. §§ 275ff.) schließt die Rspr. explizit mit in die Verweisung ein (vgl. BFH, Urteil vom 25.08.2010, I R 103/09, BStBl. II 2011, S. 215; zudem HB-BilStR (2021), Rn. 65, m. w. N.: Gliederungsvorschriften als mittelbare Ansatzvorschriften). Der GoB-Rang anderer Normen, wie etwa der speziellen Zurechnungsanordnungen für Pensionsgeschäfte i. S. d. § 340b ist dagegen nicht abschließend geklärt (vgl. dazu H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 1560a, m. w. N.).
Rn. 40
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Die (endorsed) IFRS haben demgegenüber keinen GoB-Status und sind damit unmittelbar ohne Relevanz für das Steuerrecht (vgl. zum Einfluss der IFRS auf das Steuerbilanzrecht HdR-E, Kap. 3 Rn. 349ff.)
Rn. 41–43
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vorläufig frei