Rn. 88
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Bei den Testverfahren wird nicht ein Wert für die Grundgesamtheit geschätzt, sondern es wird die Ordnungsmäßigkeit der zugrunde liegenden Buchführung getestet. Mit der Vereinfachung der Aufnahmeverfahren steigen i. d. R. die Anforderungen, die an die Lagerbuchführung des zugrunde liegenden Lagers zu stellen sind. Dies trifft insbesondere auf Testverfahren zu, bei denen aufgrund einer Stichprobe über Annahme bzw. Ablehnung der Lagerbuchführung entschieden werden soll. Wird durch den Test die Ordnungsmäßigkeit bestätigt (Lagerbuchführung "richtig"), werden die Werte der Buchführung übernommen. Somit gibt es bei den Testverfahren keine Inventurdifferenz (vgl. AWV (1980); AWV (1985); Köhle/Sturm, WPg 1983, S. 369ff.; Nagels/Plüschke/Zimmermann, WPg 1980, S. 398ff.; Plüschke/Zimmermann, WPg 1981, S. 317ff., jeweils m. w. N.). Die Hypothesenformulierung der Nullhypothese "bestandszuverlässige Lagerbuchführung" und der Alternativhypothese "nicht bestandszuverlässige Lagerbuchführung" erfolgt ersatzweise anhand statistischer Kennwerte der Inventurgesamtheit (vgl. HFA 1/1981, WPg 1990, S. 649 (652)).
Rn. 89
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Die von Testverfahren gelieferte Entscheidung ist jedoch ob des Zufallscharakters der Stichprobenziehung nicht sicher. Es sind folgende Fehlentscheidungen möglich: Von einem Fehler 1. Art (α-Fehler) spricht man, wenn die Ausgangshypothese abgelehnt wird, obwohl sie zutrifft, d. h., die Bestandszuverlässigkeit der Lagerbuchführung wird verneint, obwohl sie gegeben ist. Von einem Fehler 2. Art (β-Fehler) spricht man, wenn die Ausgangshypothese angenommen wird, obwohl sie nicht zutrifft, d. h., die Bestandszuverlässigkeit der Lagerbuchführung wird bestätigt, obwohl sie nicht gegeben ist (vgl. Bruse et al., StBp 1988, S. 101 (109)).
Die erste Gruppe der Testverfahren bilden der Hypothesen- und Differenztest: Für Zwecke der Wirtschaftsprüfung wurde aus dem Hypothesentest der statistischen Stichprobentheorie ein Annahmestichprobenverfahren abgeleitet, welches den entscheidungsorientierten Methoden der Statistik zuzuordnen ist. Maßstab der Ordnungsmäßigkeit der Lagerbuchführung ist dabei der wahre Fehleranteil. Der Hypothesentest bedient sich des direkten statistischen Schlusses, indem methodisch vom wahren Fehleranteil der Grundgesamtheit auf den zu erwartenden Stichprobenfehler geschlossen wird. Im Gegensatz zum Sequentialtestverfahren als mehrfaches Annahmestichprobenverfahren handelt es sich beim Hypothesentest (bei uneingeschränkter Zufallsauswahl) um ein einfaches Annahmestichprobenverfahren (vgl. ausführlich Buchner/Reuter, BFuP 1972, S. 533ff.; Schaich, AStA 1983, S. 274 (283f.); Scherrer/Obermeier, ZfB 1980, S. 500 (515); Schöttler (1979), S. 173ff.).
Als problematisch erweist sich bei Anwendung des Hypothesentests, dass die bei der "Untersuchung der Stichprobenelemente aufgedeckten Differenzen zwischen Ist- und Nominalwert sich gegenseitig kompensieren können und soweit nicht unmittelbar Einfluß auf die Annahme oder Ablehnung der Nullhypothese besitzen" (Schöttler (1979), S. 183). Eine Berücksichtigung der bei der Überprüfung der Stichprobenelemente festgestellten Abweichungen zwischen Soll- und Istwerten nimmt die Methode des Differenztests vor (vgl. ausführlich Schöttler (1979), S. 184ff.).
Eine weitere Möglichkeit, die Signifikanz der Soll-Ist-Abweichungen zu untersuchen, stellt der Vorzeichen-Rang-Test von Wilcoxon dar (vgl. ausführlich Schöttler (1979), S. 187ff.).
Rn. 90
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Von den statistischen Testverfahren wird im Zusammenhang mit der Inventur insbesondere der Sequentialtest (vgl. Köpper (1987), S. 37ff.; Quick (2000), S. 171ff.; Schöttler (1979), S. 199ff.) diskutiert, da ihm die größte praktische Bedeutung beigemessen wird (vgl. Bonner HGB-Komm. (2012), § 241, Rn. 17). Der Sequentialtest ist ein Annahmetestverfahren, das auch für Zwecke der Qualitätskontrolle angewandt wird. Die Anwendung des Sequentialtests wurde zunächst für nicht bewegte Lagereinheiten in automatisch gesteuerten Lagersystemen vorgeschlagen (vgl. AWV (1980)). Grds. "ist der Sequenzialtest [...] an keine bestimmte Lagerorganisation gebunden" (AWV (2010), S. 26).
Rn. 91
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Beim homograden Sequentialtest wird die Ausgangshypothese (Nullhypothese) "Lagerbuchführung bestandszuverlässig" gegen die Alternativhypothese "Lagerbuchführung nicht bestandszuverlässig" getestet (vgl. Göbel, WPg 1992, S. 677 (678ff.)). Der homograde Sequentialtest, wie er von der AWV vorgeschlagen wird, liefert eine "Ja/Nein"-Entscheidung. Für die Anwendung als Inventurverfahren lautet diese Entscheidung "Annahme der Lagerbuchführung" bzw. "Ablehnung der Lagerbuchführung". Führt der Test zur Ablehnung, so kann die Inventur mit einem alternativen Stichprobenverfahren fortgesetzt werden (vgl. AWV (2010), S. 26). Bei der Annahme der Lagerbuchführung werden die Buchwerte zum Jahresende als Ergebnis der körperlichen Inventuraufnahme übernommen (vgl. Puzicha-Neubeiser (1997...