I. Bilanzierungsfähigkeit als Grundvoraussetzung
Rn. 5
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Da der JA nach § 246 Abs. 1 "sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden [und, d.Verf.] Rechnungsabgrenzungsposten" beinhalten muss, "soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist", und da die ergänzende Beschränkung auf die "bilanzierungsfähigen" VG, Schulden und RAP im Bericht des Rechtsausschusses als nicht erforderlich angesehen wurde, weil sich die Einschränkung von selbst verstehe (vgl. Biener/Berneke (1986), S. 71), zeigt sich die unmittelbare Beziehung zwischen der Bilanzierungsfähigkeit und dem Vollständigkeitsgebot. Im Folgenden werden die Kriterien für die Bilanzierungsfähigkeit, die grds. eine Bilanzierungspflicht bewirkt, gesondert für Aktiv- und Passivposten analysiert.
1. Aktivierungsfähigkeit
a) Abstrakte Aktivierungsfähigkeit
Rn. 6
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Frage nach der abstrakten Aktivierungsfähigkeit ist grds. gleichbedeutend mit der Frage nach dem Vorliegen eines VG (vgl. auch Freericks (1976), S. 141; HdB (2020), Stichwort-Nr. 146, Rn. 2f.); allerdings kommt auch Aktivierungsfähigkeit ohne Vorliegen eines VG in Betracht (vgl. so bei RAP, latenten Steuern sowie dem aktiven Unterschiedsbetrag aus der Vermögensverrechnung). Als maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines VG – der genauso wenig wie der Begriff der Schuld gesetzlich näher umschrieben wird, so dass beide Begriffe i. R.d. GoB interpretationsbedürftig sind – wird das Merkmal der selbständigen Verkehrsfähigkeit angesehen.
Rn. 7
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
I.A. wird die selbständige Veräußerbarkeit i. S. v. Übertragbarkeit, d. h. der Möglichkeit des selbständigen Auftretens als Gegenstand des Handels- und Rechtsverkehrs, verstanden (vgl. Freericks (1976), S. 142; Saage, DB 1969, S. 1709 (1710)); dagegen interpretiert Kropff die selbständige Veräußerbarkeit in der Weise, dass er auf die abstrakte und nicht auf die konkrete Veräußerbarkeit abstellt (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 149, Rn. 47), mit der Folge, dass bei Fehlen konkreter Interessenten die Aktivierung ebenso wenig ausgeschlossen ist wie bei Vorliegen eines schuldrechtlichen Veräußerungsverbots. Neben der Interpretation i. S. d. abstrakten Veräußerbarkeit existieren auch andere Vorstellungen (Einzelverwertbarkeit; grds. Veräußerbarkeit – in Richtung des steuerlichen Kriteriums der Veräußerbarkeit im Zusammenhang mit dem gesamten Betrieb gehend; Einzelbeschaffbarkeit, evtl. unter Ergänzung der Einzelveräußerbarkeit; Selbständigkeit eines Objekts im Hinblick auf schuldrechtliche Rechtsverhältnisse; selbständige Herrschaftsmöglichkeit), die dabei auch z. T. bei der engen Interpretation auftretende Inkonsistenzen abbauen.
Als zusätzliches Kriterium wird häufig das Vorliegen der selbständigen Bewertbarkeit gefordert, das aus dem Grundsatz der Einzelbewertung abgeleitet wird; im Unterschied zu anderen Interpretationen leitet Ballwieser die grds. Abgrenzung der VG ausgehend vom Einzelbewertungsgrundsatz ab (vgl. Beck-HdR, B 131 (2009), Rn. 100). Während bei enger Auslegung des Kriteriums der selbständigen Veräußerbarkeit dem Kriterium der selbständigen Bewertbarkeit seine Notwendigkeit abgesprochen wird (vgl. Müller-Dahl (1979), S. 94; Schneider, WPg 1971, S. 607 (608); a. A. Freericks (1976), S. 156), ist es bei einer Auslegung des Kriteriums der selbständigen Veräußerbarkeit i. S. v. Kropff ein notwendiges Objektivierungsmerkmal. Zu Recht sieht Moxter den Sinn des Bewertbarkeitsprinzips in der Relativierung des Vollständigkeitsgrundsatzes, "weil das Gesetz eine durch Realisations- und Imparitätsprinzip geprägte, also objektiviert-vorsichtige Gewinnermittlung will" (vgl. Moxter, BB 1987, S. 1846 (auch Zitat)). Das Objektivierungserfordernis führt zu einer Begrenzung der "Vermögensgegenstände im bilanzrechtlichen Sinne auf die ‚vergegenständlichten’, konkretisierten Vermögenswert[e]", die "ihrerseits auch einen greifbaren, konkretisierten Wert haben [müssen, d.Verf.], um bilanzrechtlich als VG gelten zu können" (Moxter, BB 1987, S. 1846 (1847 (beide Zitate))). Nach der Interpretation von Kropff dürfte die Einzelveräußerbarkeit auch bei Gütern gegeben sein, bei denen ein gesetzliches Einzelübertragungsverbot besteht (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 151, Rn. 29; zudem HdB (2020), Stichwort-Nr. 73, Rn. 3, m. w. N.), da der Gesetzgeber mit der Verfügung eines Einzelübertragungsverbots die grds. Einzelübertragbarkeit dieser Güter anerkannt hat (vgl. Roland (1980), S. 155).
Im Zusammenhang mit dem Kriterium der selbständigen Verkehrsfähigkeit ergibt sich bei Zugrundelegung der heute h. M. als maßgebendes Kriterium das der Einzelverwertbarkeit, ergänzt um das Objektivierungskriterium der bilanziellen Greifbarkeit; zu einem vergleichbaren Ergebnis für die praktische Anwendung gelangt man bei Zugrundelegung eines Kriteriums, das alle rechtlich gesicherten Vorteile als VG ansieht, die dem Bilanzierungssubjekt eine selbständige, einzeln erfass- und bewertbare sowie aktuelle Herrschaftsmöglichkeit i. S.e. Nutzungs- und/oder Verwertungsmöglichkeit über eine Sache oder einen unkörperlichen Gegenstand gewähren, die bei Er...