Thomas Richter, Thomas Richter
Rn. 75
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
Die im HGB im Kontext von Treuhandverhältnissen wichtige Frage der subjektiven Zurechenbarkeit respektive des wirtschaftlichen Eigentums lässt sich allg. dem Rahmenkonzept (RK) der IFRS entnehmen, das die grds. Ausrichtung der IFRS-RL definiert (vgl. Pellens et al. (2021), S. 90f.). Um ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild zu vermitteln, sind Informationen inkl. der RL-Methoden auf eine Weise darzulegen, die u. a. die Forderung nach Verlässlichkeit (reliability) als qualitative Anforderung an einen IFRS-Abschluss erfüllen (vgl. IAS 1.17(b); IAS 8.6C(b) i. d. F. des ED/2019/7). Hierzu zählt der Grundsatz "substance over form", wonach gemäß RK.2.12 (2018) "financial information must not only represent relevant phenomena, but it must also faithfully represent the substance of the phenomena that it purports to represent. In many circumstances, the substance of an economic phenomenon and its legal form are the same. If they are not the same, providing information only about the legal form would not faithfully represent the economic phenomenon".
Im Gegensatz zu Leasinggeschäften, die in IFRS 16 eine Konkretisierung finden, unterbleibt ein konkreter Transfer des Grundsatzes "substance over form" auf die bilanzielle Behandlung von Treuhandverhältnissen. Allerdings verweist IAS 1.17(a) (bzw. IAS 8.6C(a) i. d. F. des ED/2019/7) auf IAS 8, der dem Bilanzierenden bei Fehlen eines spezifischen IFRS eine entsprechende Unterstützung liefern soll. IAS 8.10(b)(ii) legt dabei fest, dass die Geschäftsleitung bei Fehlen eines für einen Geschäftsvorfall einschlägigen IFRS u. a. darüber zu entscheiden hat, welche RL-Methode zu entwickeln und anzuwenden ist, um Informationen zu generieren, die verlässlich sind, so dass der wirtschaftliche Gehalt eines Geschäftsvorfalls und nicht nur dessen rechtliche Form wiedergegeben wird. Hierzu sind die Grundsätze nach IAS 8.11f. in der angegebenen Reihenfolge zu befolgen:
(1) |
Verwendung von (anderen) IFRS, die ähnliche und verwandte Fragen behandeln; |
(2) |
Rückgriff auf die im RK enthaltenen Definitionen, Erfassungskriterien und Bewertungskonzepte; |
(3) |
Verwendung der jüngsten Verlautbarungen anderer Standardsetzer, die ein ähnliches konzeptionelles RK besitzen; |
(4) |
Berücksichtigung sonstiger RL-Verlautbarungen sowie akzeptierter Branchenpraktiken. |
Rn. 76
Stand: EL 40 – ET: 09/2023
Die in IAS 8.11f. genannten Kriterien sind nur wenig imstande, einen direkten Beitrag zur Lösungsfindung zu liefern, da sie inhaltlich selbst unscharf formuliert sind. Weil die Bilanzierung von Treuhandverhältnissen nur schwer aus anderen IFRS abgeleitet werden kann, ist auch der Verweis in IAS 8.11(b) auf das RK wenig hilfreich, zumal aus RK.2.12 bzw. RK.4.59ff. gleiches Unscharfe folgt (vgl. zu Letzterem auch Haufe IFRS-Komm. (2023), § 1, Rn. 80). Die Bezugnahme auf andere Standardsetzer in IAS 8.12 lässt sich insofern als weiches Zusatzkriterium auffassen, als dass das bilanzierende UN im Zuge seiner Urteilsfindung über einen Einbezug nachdenken könnte oder sollte. Eine Zuhilfenahme der US-GAAP läuft aufgrund der ebenfalls dort nicht geregelten bilanziellen Behandlung von Treuhandverhältnissen ins Leere. Letztlich wäre eine Anlehnung an die Bilanzierung nach HGB mit einer entsprechenden Begründung des Bilanzierenden, warum diese Ermessensentscheidung aus seiner Sicht am besten der "true and fair presentation" entspricht, als hilfreich zu erachten (vgl. für Leasingverhältnisse Haufe IFRS-Komm. (2023), § 1, Rn. 81f.); denn der in § 246 Abs. 1 Satz 2 geregelte wirtschaftliche Eigentümer ist in Analogie zu den IFRS derjenige, dem die wesentlichen Chancen und Risiken zuzurechnen sind. Dabei ist zu beachten, dass Diskrepanzen hinsichtlich der Zurechnung des wirtschaftlichen Eigentums auftreten können, wie sie bislang bei Leasingverhältnissen existent sind (steuerliche Leasingerlasse versus IFRS 16; vgl. auch HdR-E, Kap. 6).
Rn. 77
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Eine explizite Regelung der bilanziellen Behandlung von Treuhandgeschäften – sog. "trust activities" – fand sich für Kreditinstitute und ähnliche Institutionen in IAS 30.55 (a. F.), der mit Wirkung zum 01.01.2007 aufgehoben wurde. Während Treuhandgeschäfte i. S. d. § 6 RechKredV in der Bankbilanz als gesonderte Aktiv- und Passivposten anzusetzen sind (vgl. HdR-E, Kap. 4, Rn. 41), erfolgt nach den IFRS dagegen keine bilanzielle Erfassung. Für umfangreiche Treuhandaktivitäten besteht jedoch die Pflicht, diesbezügliche Angaben im Anhang offenlegen zu müssen (vgl. Bieg et al. (2009), S. 558).
Rn. 78
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Der Einbezug von in wirtschaftlicher Sicht treuhänderische Tätigkeiten ausführenden Zweckgesellschaften (SPE) in den IFRS-Konsolidierungskreis bestimmte sich seinerzeit nach IAS 27.13 (a. F.) und dem daneben anzuwendenden, jetzt nicht mehr existenten Interpretationsstandard SIC-12. Obwohl diese Regelungen durch IFRS 10 substituiert wurden (vgl. IFRS 10.C8f.), enthält jener diametral zu § 290 Abs. 2 Nr. 4 ...