Prof. Dr. Hartmut Bieg, Prof. Dr. Gerd Waschbusch
Rn. 110
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Um eine UN-Verbindung als "verbundenes UN" i. S. d. § 271 Abs. 2 klassifizieren zu können, muss ein Mutter-Tochter-Verhältnis gemäß § 290 (Konzerntatbestand) vorliegen (vgl. die Übersicht unter HdR-E, HGB § 271, Rn. 112). Der handelsrechtliche Konzernbegriff ist – ebenso wie der aktienrechtliche Begriff des Konzerns (vgl. § 18 AktG) – ein "reiner Zweckbegriff. Er dient dazu, eine in der Wirtschaft vorherrschende Konzentrationsform gesetzlich zu erfassen und mit bestimmten rechtlichen Konsequenzen zu belegen" (Heinen (1986), S. 366). Abhängig von den nationalen regulatorischen Rahmenbedingungen richtet sich eine etwaige Verpflichtung zur konsolidierten RL entweder nach rechtsform- und/oder größenspezifischen oder nach branchen- bzw. geschäftszweigabhängigen Kriterien. Ob und inwieweit überhaupt ein KA (einschließlich eines Konzernlageberichts) aufzustellen ist, ergibt sich – nach altem wie auch nach derzeitigem Rechtsstand – ausschließlich nach den einschlägigen Vorgaben der Bilanz-R (zuvor: 7. EG-R) in ihrer jeweiligen nationalen Umsetzung, mithin aus den Vorschriften des HGB oder PublG. Diese generelle Aussage gilt gleichermaßen und unverändert für diejenigen (kap.-marktorientierten) MU, die ihren KA, sei es obligatorisch (vgl. § 315e Abs. 1f.) oder auf fakultativer Grundlage (Abs. 3), nach den von der EU legitimierten International Financial Reporting Standards (IFRS) aufstellen (müssen).
Rn. 111
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Gedeckt durch die Vorschriften der (modernisierten) 7. EG-RL erfolgte die Abgrenzung des handelsrechtlichen Konzerns bis zur Verabschiedung des BilMoG mittels zweier unterschiedlicher Konzepte. Da beide Konzeptionen die Pflicht zur Konzern-RL an das Vorliegen bestimmter Über- bzw. Unterordnungsverhältnisse knüpften, musste in beiden Fällen zunächst unabdingbar mindestens ein Mutter-Tochter-Verhältnis gegeben sein. Auf eine eigene handelsrechtliche Konzerndefinition wurde indes seitens des Gesetzgebers – analog zu besagtem supranationalen Rechtsakt – verzichtet. Stattdessen gab § 290 (a. F.) mit dem ökonomischen Konzept der einheitlichen Leitung (Abs. 1) wie auch dem juristischen – angelsächsisch geprägten – Beherrschungskonzept (Abs. 2) lediglich Kriterien vor, anhand derer sich eine Konzernbeziehung als Subordinationsverhältnis qualifizieren ließ. Beide Konzepte galt es dabei unabhängig voneinander zu beachten: Führte etwa das in § 290 Abs. 1 (a. F.) verankerte, eher einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise folgende (nationalspezifische) "Faktizitätsprinzip" (Böckli, ST 1994, S. 369 (370)) nicht zu einer Aufstellungspflicht, war gleichwohl auch das in Abs. 2 (a. F.) kodifizierte (formal-)juristische Konzept zwecks einer etwaigen Aufstellungspflicht zu prüfen (et vice versa). Dies implizierte zwangsläufig, dass eine Aufstellungspflicht bereits dann vorlag, sofern nur eine der beiden Konzeptionen als erfüllt anzusehen war. Da sich beide Konzepte nicht gegenseitig ausgeschlossen haben, konnte eine Aufstellungspflicht daher sowohl durch das "ökonomische" als auch das "juristische" (Kirchner, AG 1981, S. 325 ((327f.); beide Zitate)) Konzept zugleich begründet sein. Eine derartige Konstellation stellte sogar den Regelfall dar, denn die beiden Regelungsbereiche waren weitestgehend deckungsgleich, so dass etwaige Divergenzen wenn überhaupt nur in Randbereichen auftraten (vgl. nur Schildbach (2008), S. 70).
Rn. 112
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Während das mit einem unbestimmten Rechtsbegriff operierende Konzept der einheitlichen Leitung zwar "theoretisch überzeugender und in seiner Handhabung flexible[r]" (WP-HB (2006/I), Rn. M 22) war, lag der Vorzug des in § 290 Abs. 2 (a. F.) kodifizierten Beherrschungskonzepts eindeutig in seiner einfacheren und praktikableren Anwendung. Aufgrund der Verwendung (vermeintlich) "starre[r] Abgrenzungskriterien" (Havermann, in: FS Goerdeler (1987), S. 173 (185)) bot es zudem den offenkundigen Vorteil, "intersubjektiv leichter nachprüfbar zu sein" (Busse von Colbe et al. (2010), S. 58). Im Zuge des BilMoG wurde diese auch als "Zweigleisigkeit" (Bieg et al. (2009), S. 173) bezeichnete Widersprüchlichkeit zwischen "beteiligungsloser Kontrollmöglichkeit und beteiligungsgebundener einheitlicher Leitung" (Nowotny, in: FS Kropff (1997), S. 555 (560)) zugunsten des nachfolgend zu betrachtenden Konzepts des beherrschenden Einflusses aufgegeben (vgl. NWB HGB-Komm. (2023), § 271, Rn. 4). Damit unterscheiden sich der im deutschen Gesellschaftsrecht verwendete Konzernbegriff (i. S. d. § 18 AktG) und das System des Mutter-Tochter-Verhältnisses nach § 290 in grundlegender Weise voneinander.
Übersicht: Mutter-Tochter-Verhältnis i. S. d. HGB