Dr. Tobias Brembt, Dr. Katrin Rausch
I. Begriffsabgrenzung: Besorgnis der Befangenheit
1. Allgemeines
Rn. 25
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Um ein vertrauenswürdiges Urteil abgeben zu können, muss der AP in der Lage sein, sein Urteil allein aufgrund sachlicher Aspekte abzugeben, ohne dabei ggf. entgegenstehende eigene oder fremde Interessen zu berücksichtigen. Diese persönliche Eigenschaft umfasst folglich insbesondere die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit des AP; ihre Beurteilung richtet sich nach der Einschätzung eines vernünftigen und objektiven Dritten (vgl. z. B. Müller (2006), S. 23f.). Zu differenzieren gilt es hierbei zwischen der inneren Unabhängigkeit (Unbefangenheit oder Independence of Mind bzw. in Fact) und der äußeren Unabhängigkeit ((Nichtbestehen der Besorgnis der Befangenheit oder Independence in Appearance); vgl. EU-KOM (2002), S. 34f.; IESBA (2023), Rn. 120.15 A1). Der Begriff der Besorgnis der Befangenheit ist im HGB nicht weiter definiert, mithin ein unbestimmter Rechtsbegriff. Eine Konkretisierung hat anhand juristischer Auslegungsmethoden zu erfolgen. Der Zweck der Vorschrift ist darauf gerichtet, eine unbefangene und unabhängige Prüfung durch den WP/vBP zu ermöglichen und folglich den Stakeholdern glaubwürde Informationen zur Verfügung zu stellen. Ob eine Besorgnis der Befangenheit vorliegt, ist stets aus der Sicht eines vernünftigen und sachverständigen Dritten zu beurteilen. Dabei sind Art und Umfang der objektiven Gründe, die zu Zweifeln an der Unbefangenheit führen, ebenfalls mit zu berücksichtigen (vgl. Beck Bil-Komm. (2022), § 319 HGB, Rn. 29; NWB HGB-Komm. (2023), § 319, Rn. 9).
2. Sachlicher Anwendungsbereich
a) Allgemein
Rn. 26
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
§ 319 Abs. 2 regelt den allg. Grundsatz, wonach ein WP/vBP als AP ausgeschlossen ist, wenn Gründe, insbesondere Beziehungen geschäftlicher, finanzieller oder persönlicher Art, vorliegen, nach denen eine Besorgnis der Befangenheit besteht. Das Vorliegen einer Besorgnis der Befangenheit ist dabei immer aus der Sicht eines (sach-)verständigen Dritten zu beurteilen. Es ist unerheblich, ob der WP tatsächlich befangen ist oder nicht – Zweifel an der Unbefangenheit reichen aus. Hierbei orientiert sich die Vorschrift am international gängigen Konzept der "Threats and Safeguards" (vgl. IESBA (2023), Rn. 120.1ff.). Danach gibt es Risiken (threats), die dazu führen können, dass die Einhaltung der grds. Anforderungen an den AP gefährdet ist oder von Dritten als gefährdet wahrgenommen wird. Sicherungsmaßnahmen (safeguards) können diese Risiken eliminieren bzw. zumindest auf ein vertretbares Maß minimieren.
Rn. 27
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Folgende Sachverhalte führen zu einer Besorgnis der Befangenheit (vgl. BT-Drs. 15/3419, S. 38; fernerhin Brösel et al. (2015), S. 90ff., m. w. N.):
(1) |
Der Prüfer hat ein wirtschaftliches oder sonstiges Eigeninteresse am Ergebnis der Prüfung, das nicht nur von untergeordneter Bedeutung ist (sog. Eigeninteresse; vgl. § 32 BS WP/vBP). |
(2) |
Der Prüfer beurteilt i. R.d. AP Sachverhalte, an denen er selbst mitgewirkt hat (sog. Selbstprüfung; vgl. § 33 BS WP/vBP). |
(3) |
Der Prüfer ist als Interessenvertreter für oder gegen die Interessen des Mandanten tätig (sog. Interessenvertretung; vgl. § 34 BS WP/vBP). |
(4) |
Der Prüfer unterhält nahe Beziehungen zur UN-Leitung, die ein übermäßiges Vertrauen begründen (sog. persönliche Vertrautheit; vgl. § 35 BS WP/vBP). |
(5) |
Der Prüfer unterliegt einer besonderen Einflussnahme durch das zu prüfende UN, die wiederum seine Objektivität beeinträchtigt (sog. Einschüchterung; vgl. § 36 BS WP/vBP). |
Rn. 28
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Diesen Sachverhalten können jedoch in bestimmten Fällen Schutzmaßnahmen gegenübergestellt werden, die das Risiko einer Beeinträchtigung der Unbefangenheit und Unabhängigkeit auf ein akzeptables Maß reduzieren. In § 30 BS WP/vBP bzw. den Erläuterungen des Vorstands der WPK dazu werden diese Schutzmaßnahmen wie folgt konkretisiert:
(1) |
Erörterung des Sachverhalts mit dem Aufsichtsorgan des betreffenden UN; |
(2) |
Sachverhaltsdiskussion mit zuständiger Aufsichtsbehörde (wie z. B. APAS oder BaFin); |
(3) |
spezifische Transparenzregelungen (z. B. Offenlegung von Honoraren für Prüfungs- und Nichtprüfungsleistungen oder auch Preisgeben von Informationen zur Unabhängigkeit im BV bei UN von öffentlichem Interesse (vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. f) und g) der AP-VO; |
(4) |
kritische Durchsicht der Arbeitspapiere durch Personen, die bislang nicht mit betreffender AP befasst waren; |
(5) |
Konsultation mit Spezialisten für Fragen zur Unabhängigkeit und Unbefangenheit; |
(6) |
Einrichtung von sog. Firewalls, damit Informationen, die zu einer Befangenheit des AP führen können, diesem nicht zur Kenntnis gelangen. |
b) Eigeninteresse
Rn. 29
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Eigeninteressen können sowohl finanzieller Art – bspw. aufgrund von kap.-mäßigen Bindungen, übermäßiger Umsatzabhängigkeit, Leistungsbeziehungen, die (wie Sonderkonditionen beim Einkauf) über den üblichen Geschäfts- und Lieferverkehr hinausgehen, Forderungen gegenüber dem zu prüfenden UN sowie offenstehenden Honorarforderungen von nicht unerheblicher Höhe – sein als auch sonstige Gründe haben, wie et...