Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
aa) Spezialregelungen
Rn. 66
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Der in § 252 Abs. 1 Nr. 3 kodifizierte Grundsatz der Einzelbewertung kommt nur zur Anwendung, soweit nicht spezielle gesetzliche Vorschriften regeln, wie den Bewertungsobjekten Werte beizumessen sind. Zu diesen "Spezialregelungen" (Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 26) zählen die Sammelbewertungsverfahren (vgl. §§ 240 Abs. 3f., 256), die Bildung von Bewertungseinheiten (vgl. § 254) und das Verrechnungsgebot bei Altersversorgungsplänen (vgl. § 246 Abs. 2).
Die Sammelbewertungsverfahren (Verbrauchsfolgeverfahren Fifo und Lifo gemäß § 256 Satz 1, Methode der Festbewertung gemäß § 256 Satz 2 i. V. m. § 240 Abs. 3 und das Verfahren der Gruppenbewertung gemäß § 256 Satz 2 i. V. m. § 240 Abs. 4) dienen einer vereinfachten Bewertung mehrerer Bewertungsgegenstände. Ihre Anwendung führt nicht zu einer Gesamtbewertung von VG, da die in eine Sammelbewertung einbezogenen VG nicht zu einem übergeordneten Funktions- bzw. Bewertungsobjekt zusammengefasst werden. Wäre dies der Fall, so würde es sich nicht mehr um Spezialregelungen handeln und der Grundsatz der Einzelbewertung käme uneingeschränkt zur Anwendung. Der Wert, der einem einzelnen VG im Wege der Sammelbewertung zugeordnet wird, ist je nach Verfahren letztlich das Resultat einer Kombination aus den ursprünglichen Einzelwerten sämtlicher in die Sammelbewertung einbezogener VG (vgl. Selchert (2001), S. 114ff.). Es erfolgt somit keine voneinander unabhängige Ermittlung der den VG jeweils beizulegenden Werte. Insofern liegt auch keine Einzelbewertung der in die Sammelbewertung einbezogenen VG vor.
Dem Grundsatz der Einzelbewertung geht auch die Bildung von Bewertungseinheiten bei der Zusammenfassung von Grund- und Sicherungsgeschäft gemäß § 254 vor (vgl. dazu ausführlich HdR-E, HGB § 254; ferner HdR-E, HGB § 252, Rn. 76). Selbiges gilt auch für § 246 Abs. 2, nach dem VG, die dem Zugriff aller übrigen Gläubiger entzogen sind und die ausschließlich der Erfüllung von Schulden aus Altersversorgungsverpflichtungen oder vergleichbaren langfristig fälligen Verpflichtungen dienen, mit diesen Schulden zu verrechnen sind (vgl. u. a. Hasenburg/Hausen, DB 2009, Beilage Nr. 5 zu Heft 23, S. 38 (43f.) und ausführlich HdR-E, HGB § 246). Es erscheint im Ergebnis wenig bedeutsam, ob diese Regeln angesichts der Rangfolge der Normen als lex specialis dem (allg.) Grundsatz der Einzelbewertung vorgehen oder Ausnahmen dieses Grundsatzes markieren (vgl. z. B. Bonner-HdR (2012), § 252 HGB, Rn. 29ff., wonach im Zusammenhang mit den Sammelbewertungsverfahren eine Durchbrechung identifiziert wird; ähnlich u. a. auch H/H/R (2020), § 6 EStG, Rn. 630). In jedem Fall findet der Grundsatz der Einzelbewertung in den besagten Fällen keine Anwendung.
bb) Ausnahmen vom Grundsatz der Einzelbewertung
Rn. 67
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Soweit der Grundsatz der Einzelbewertung Gültigkeit besitzt, sind auch von diesem Bewertungsgrundsatz nach § 252 Abs. 2 nur in begründeten Fällen Ausnahmen zulässig. Ausnahmen erstrecken sich auf Fälle, in denen die "individuelle Ermittlung des Wertes oder der Risiken eines einzelnen Bewertungsobjektes unmöglich oder nur mit einem unvertretbaren Zeit- und Kostenaufwand möglich ist" (ADS (1995), § 252, Rn. 57; vgl. auch BFH, Urteil vom 17.02.1998, VIII R 28/95, BStBl. II 1998, S. 505 (508), sowie BFH, Urteil vom 15.10.1997, I R 16/97, BStBl. II 1998, S. 249 (251), ebenfalls die Unzumutbarkeit als Ausschlussgrund nennend). Wenn die Wirkung des Einzelbewertungsgrundsatzes bei der in Rede stehenden Ausnahme auf die VFE-Lage unwesentlich ist, dürfte zudem der europarechtlich festgelegte Wesentlichkeitsgrundsatz als Begründung greifen (vgl. Art. 6 Abs. 1 lit. j) der Bilanz-R).
Rn. 68
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Abgesehen von seltenen Einzelfällen, in denen unter obiger Begründung ausnahmsweise eine Nichtanwendung des Grundsatzes der Einzelbewertung zulässig ist, werden in dem Zusammenhang auch immer wieder generell geltende Bilanzierungsregeln als Ausnahmen i. S. d. § 252 Abs. 2 genannt. Dies betrifft insbesondere die Bewertung von Garantierückstellungen, Gängigkeitsabschreibungen bei Vorratsmaterial und Pauschalwertberichtigungen zum Ausgleich des allg. Kreditrisikos (vgl. z. B. ADS (1995), § 252, Rn. 57, ebenso wie Beck Bil-Komm. (2020), § 252 HGB, Rn. 26 hinsichtlich der Garantierückstellungen).
Rn. 69
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Bei solchen Bewertungen handelt es sich wohl offensichtlich weniger um Ausnahmefälle; sie stellen vielmehr die Regel dar. Auch muss es sich hierbei nicht zwingend um eine Abkehr vom Grundsatz der Einzelbewertung handeln, wenn z. B. Gängigkeitsabschläge bei einzelnen VG des Vorratsvermögens vorgenommen werden und nur die Abschlagshöhe pauschal ermittelt wird. Sollte eine Abkehr vom Grundsatz der Einzelbewertung tatsächlich vorliegen, greift in diesen Fällen wohl eher der Vorrang einer (wenn auch nicht kodifizierten) Spezialregel. Im Ergebnis ist hierzu bereits betont worden, dass diese Differenzierung bilanzpraktisch ohne Bedeutung bleibt, da sie in jedem Fall die Abkehr vom Grun...