Dr. Wolfgang Knop, Dr. Peter Küting
Rn. 187
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Bei der Bestimmung der Sonderkosten (richtiger: Sonder-EK) der Fertigung im Zusammenhang mit der HK-Ermittlung treten insbesondere Abgrenzungsprobleme zu den Sonderkosten des Vertriebs zutage.
Rn. 188
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Begrifflich können Sonderkosten der Fertigung sowohl EK als auch GK umfassen. Gleichwohl sind Sonderkosten der Fertigung allein i. S. v. Sonder-EK der Fertigung zu interpretieren. Dieses Verständnis wird ebenso durch den Wortlaut des § 255 Abs. 2 Satz 2 gestützt.
Rn. 189
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
In der Literatur werden Sonder-EK der Fertigung unterschiedlich definiert. Bergner (HWR (1970), Sp. 1596) versteht unter Sonder-EK den Verzehr, der für den einzelnen Kostenträger erfasst und ihm daher direkt zugerechnet wird. Er verweist darauf, dass Einzelerfassung und direkte Zurechnung nach allg. Anerkennung auch die Feststellung der Kosten für eine Gruppe von Kostenträgern und die anschließende Verteilung auf die Gruppenobjekte einschließen. Nach Haberstock ((1982), S. 64) sind Sonder-EK "zwar nicht pro Stück, aber pro Auftrag erfaßbar." Kilger ((1992), S. 268) sieht das charakteristische Merkmal darin, dass sie "für mehrere Kalkulationseinheiten gemeinsam" anfallen, so dass sie entsprechend aufgeteilt werden müssen. Als klassische Beispiele der Sonder-EK der Fertigung werden Kosten für Modelle, Spezialwerkzeuge, Vorrichtungen und Entwürfe genannt.
Diese Beispiele werden auf der Grundlage des § 255 Abs. 2 nur dann als Sonder-EK der Fertigung einzustufen sein, wenn sie "nach der Intention einer möglichst direkten Zuordnung" (Scherrer (1999), S. 231) der Kosten auf eine einzelne Mengeneinheit als Produktions-EK verrechnet werden können. Als Sonder-EK der Fertigung werden somit alle unmittelbar auf eine einzelne Leistungseinheit zu verrechnenden EK außer Fertigungsmaterial- und ggf. Fertigungslohnkosten definiert. Hierzu zählt z. B. eine stückbezogene Lizenzgebühr für die Fertigung.
Rn. 190
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Der überwiegende Teil der kostenrechnerisch als Sonder-EK der Fertigung verstandenen Kostenarten erfüllt die obigen Bedingungen nicht, da i. d. R. die Voraussetzung des Stückbezugs nicht gegeben ist. Es handelt sich dann um Sonder-GK der Fertigung, die als Unterkategorie der Fertigungs-GK in angemessenem Umfang (vgl. hierzu HdR-E, HGB § 255, Rn. 222ff.) zu aktivieren sind.
Rn. 191
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Seit § 255 Abs. 2 eindeutig bestimmt, dass die Vertriebs-EK nicht mehr in die HK einbezogen werden dürfen, "kommt [...] in einigen Branchen der Frage erhebliche Bedeutung zu, ob die üblicherweise als Sondereinzelkosten des Vertriebs bezeichneten Kosten tatsächlich Vertriebskosten sind" (Selchert, BB 1986, S. 2298 (2303)). Bei der Beantwortung dieser Frage dürfte es zulässig sein, den Begriff der Vertriebskosten im Zweifel eng auszulegen (vgl. Förschle (1987), S. 102f.; im Ergebnis ebenso Weber (1987), DB 1987, S. 393ff.; Selchert, BB 1986, S. 2298ff.; a. A. Döllerer, BB 1987, Beilage Nr. 12 zu Heft 16, S. 1 (13)). Dabei sollte auch beachtet werden, dass der Herstellungsbegriff des Handels- und Steuerrechts nicht nur den rein betrieblich-technischen Fertigungsvorgang umfasst, sondern vielmehr leistungsbezogen und produktorientiert zu interpretieren ist (vgl. Meyer-Landrut/Miller/Niehus (1987), §§ 238–335 HGB, Rn. 214). Bei Abgrenzungsversuchen zwischen Herstellungs- und Vertriebsbereich wird immer wieder betont, dass eine klare Trennung nicht möglich sei (vgl. z. B. Busse von Colbe, in: HWUR (1986), S. 375 (377); Wöhe (1997), S. 401). Wohlgemuth/Radde weisen in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass Vertrieb und Produktion insoweit als verbunden angesehen werden können, als erfolgreiche Vertriebsanstrengungen zwangsweise der Produktion vorangehen müssen (vgl. HdJ, Abt. I/5 (2020), Rn. 48; ebenso Backhaus, ZfbF 1980, S. 347 (358)).
Rn. 192
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die sog. Auftragsfertigung, auch auftragsbezogene Fertigung genannt, ist dadurch gekennzeichnet, dass mit der technischen Herstellung eines oder mehrerer gleichartiger Einzelobjekte begonnen wird, nachdem die technischen Details mit dem Kunden besprochen wurden, und danach erst die Auftragserteilung erfolgt (vgl. Krawitz, DStR 1997, S. 886). Der Unterschied zwischen Auftrags- und Vorratsfertigung liegt v.a. in der zeitlichen Abfolge von Produktion und Absatz i. S. d. Verwertung am Markt.
Rn. 193
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Kosten, die vor Aufnahme des eigentlichen Fertigungsvorgangs – also vor dem Zeitpunkt der technischen Herstellung – anfallen, gehören zu den Kosten der Herstellung (sog. vorgelagerte HK), sofern eine kausale Beziehung zwischen dem Anfall dieser Kosten und dem Fertigungsvorgang besteht (vgl. auch HdR-E, HGB § 255, Rn. 227ff.). D.h., diese Kosten sind dem eigentlichen Produktionsprozess vorgelagert, stehen aber in sachlichem Zusammenhang mit dem Herstellungsprozess. Damit wird auch der Auffassung des BFH (vgl. Beschluß vom 12.06.1978, GrS 1/77, BStBl. II 1978, S. 620 (62...