Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 271
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Das Handelsrecht gestattet in Abweichung vom Einzelbewertungsgrundsatz unter bestimmten Voraussetzungen die Anwendung von Bewertungsvereinfachungsverfahren, wie Verbrauchsfolgeverfahren (vgl. § 256 Satz 1) oder die Gruppenbewertung zum gewogenen Durchschnitt (vgl. § 240 Abs. 4 i. V. m. § 256 Satz 2). Insoweit die Voraussetzungen für die Anwendung eines (oder mehrerer) Bewertungsvereinfachungsverfahren vorliegen, besteht ein Bewertungswahlrecht (so besteht für gleichartige, nicht verderbliche VG des Vorratsvermögens die Wahl zwischen Einzelbewertung, Durchschnittsbewertung, Lifo oder Fifo). Steuerrechtlich ist für gleichartige WG des Vorratsvermögens die Anwendung der Lifo-Methode gestattet, soweit deren Anwendung den GoB nicht widerspricht (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 2a Satz 1 EStG). Andere Verfahren mit unterstellter Verbrauchs- bzw. Veräußerungsfolge sind steuerlich unzulässig (vgl. R 6.9 Abs. 1 EStR (2012)). Für gleichartige WG des Vorratsvermögens sehen die EStR darüber hinaus ein steuerliches Wahlrecht zur Gruppenbewertung mit dem gewogenen Durchschnitt vor (vgl. R 6.8 Abs. 4 EStR (2012); zur steuerlichen Zulässigkeit bereits BT-Drs. 11/2157, S. 140).
Rn. 272
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Nach Verwaltungsauffassung und wohl h. M. im Schrifttum greift der steuerliche Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 Satz 1 (2. Halbsatz) EStG auch für das steuergesetzliche Lifo-Wahlrecht nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a Satz 1 EStG mit der Folge, dass das Wahlrecht steuerlich eigenständig und unabhängig davon ausgeübt werden kann, ob das nach § 256 eröffnete handelsrechtliche Wahlrecht ausgeübt wurde (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 17); BMF, Schreiben vom 12.05.2015, IV C 6 – S 2174/07/10001, BStBl. I 2015, S. 462ff. (Rn. 10), sowie z. B. Herzig, DB 2014, S. 1756 (1760f.); Kahle, DB 2014, Beilage Nr. 4 zu Heft 22, S. 1 (8); Marx, StuB 2015, S. 443 (446); HB-BilStR (2021), Rn. 366; Schmidt: EStG (2022), § 5, Rn. 64; § 6, Rn. 416; a. A. Hennrichs, Ubg 2009, S. 533 (537ff.); Hüttemann/Meinert (2013), S. 95; Drüen/Mundfortz, DB 2015, S. 2245 (2250); Barke, DStZ 2015, S. 302 (313); Bilanz-HB (2015), Rn. C 597; Blümich (2021), § 5 EStG, Rn. 202a). Das steuerliche Bewertungswahlrecht kann für verschiedene Bewertungsgruppen unterschiedlich, für sämtliche WG einer Bewertungsgruppe aber nur einheitlich ausgeübt werden (vgl. BMF, Schreiben vom 12.05.2015, IV C 6 – S 2174/07/10001, BStBl. I 2015, S. 462ff. (Rn. 4)). Eine Einzelbewertung in der HB hindert den steuerlichen Lifo-Ansatz nicht (vgl. BMF, Schreiben vom 12.05.2015, IV C 6 – S 2174/07/10001, BStBl. I 2015, S. 462ff. (Rn. 10)). Gleiches gilt, wenn in der HB die Gruppenbewertung zum gewogenen Durchschnitt gewählt wird (vgl. insoweit widersprüchlich die BMF-Auffassung: Während für das Lifo-Verfahren ein autonomes Wahlrecht bejaht wird (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 7)), wird bei handelsrechtlicher Gruppen-/Festbewertung die Übernahme in die StB gefordert (vgl. BMF, Schreiben vom 12.03.2010, IV C 6 – S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, S. 239ff. (Rn. 17))). Ebenso ist in der StB eine Durchschnittsbewertung auch dann möglich, wenn in der HB ein Verbrauchsfolgeverfahren zur Anwendung gebracht wird (vgl. Herzig, DB 2008, S. 1 (3); Theile/Hartmann, DStR 2008, S. 2031 (2034); Richter, GmbHR 2010, S. 505 (509)).
Rn. 273
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Die langjährige Diskussion um etwaige Einschränkungen der steuerlich zulässigen Lifo-Bewertung war geprägt durch die Frage der Zielsetzung der Norm (vgl. etwa Herzig/Gasper, DB 1991, S. 557 (558); Herzig/Gasper, DB 1992, S. 1301; Korn, KÖSDI 1994, S. 9828 (9832)). Während der Gesetzgeber mit § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG neben einer Vereinfachung der Vorratsbewertung und Angleichung an das Handelsrecht explizit auch die Vermeidung bzw. Verminderung einer Scheingewinnbesteuerung anstrebte (vgl. BT-Drs. 11/2157, S. 140), sah der BFH den Normzweck unter der Herrschaft der formellen Maßgeblichkeit auf einen Vereinfachungszweck beschränkt, die Vermeidung einer Besteuerung von Scheingewinnen könne nur als "rechnerischer Reflex der Bewertungsvereinfachung" in Betracht kommen (vgl. BFH Urteil vom 20.06.2000, VIII R 32/98, BStBl. II 2001, S. 636ff.; Siegel, DB 1991, S. 1941 (1948); Bareis et al., DB 1993, S. 1249f.). Spätestens nach BilMoG kann die These des handelsrechtlich determinierten – allein auf Vereinfachung gerichteten – Zwecks und durch diesen begrenzten Anwendungsbereich des § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG keinen Bestand mehr haben; der eigenständigen steuerlichen Lifo-Regelung ist vielmehr eine eigenständige, auf Bewertungsvereinfachung und Vermeidung von Scheinbesteuerung gerichtete duale Zwecksetzung zu attestieren (vgl. ausführlich Herzig, DB 2014, S. 1756).
Rn. 274
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Für die Normauslegung durch die Finanzverwaltung ist (weiterhin) das Bewertungsvereinfachungsziel grds. leitend. Der spezielle GoB-Vor...