Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
I. Gefahrenlage
Rn. 29
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Das Erfordernis einer Konzernbildungskontrolle besteht auch aus Sicht der (Minderheits-)Gesellschafter eines potenziellen MU, da ihr Einfluss durch die Gründung von TU und die Verlagerung von Entscheidungsprozessen in diese Gesellschaften ausgehöhlt werden kann (Mediatisierungseffekt). Die Verwaltung der Beteiligungen obliegt dem Vorstand (vgl. KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 34), der somit auch über die Gewinnverwendung in den TU entscheidet. Über die Thesaurierung von Gewinnen in TU könnte der aktienrechtliche Minderheitenschutz des § 58 AktG ausgehebelt werden. Die Gefährdung der Minderheitsgesellschafter des MU wird durch das deutsche Bilanzrecht verschärft, weil es außerhalb der für die Gewinnverwendung nicht maßgeblichen Vorschriften des KB-Rechts der §§ 291ff. und des internationalen RL-Rechts der IFRS keinen Zwang zur realitätsnahen Bewertung von Beteiligungen gibt. Das AK-Prinzip zwingt im Gegenteil im Falle der Thesaurierung von Gewinnen zur Bildung stiller Reserven. Schwerwiegende Vermögensnachteile für die Gesellschafter des MU können sich ferner dadurch ergeben, dass Leitungsmaßnahmen gegenüber abhängigen Gesellschaften Verlustausgleichs- und Schadensersatzansprüche außenstehender Gesellschafter oder von Gläubigern auslösen. Die im Schrifttum (vgl. KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 34) in diesem Zusammenhang erwähnte Gefahr einer Vermögensverlagerung auf das TU, wenn eine Beteiligung gegen eine den Beteiligungswert übersteigende Einlage erworben wird, dürfte dagegen allg. Fragen mangelhafter UN-Führung durch den Abschluss unausgewogener Austauschverträge betreffen, die keiner konzernspezifischen Abwehr bedürfen.
Rn. 30
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Dieser, vom Gesetzgeber in ihrer Tragweite nicht erkannten Gefahrenlage ist der BGH im Anschluss an das Schrifttum am Anfang des Jahres 1982 mit dem sog. Holzmüller-Urteil (vgl. BGH, Urteil vom 25.02.1982, II ZR 174/80, BGHZ 83, S. 122ff.) begegnet. Es bildet die Grundlage für die heute im Grundsatz allg. anerkannte Konzernbildungskontrolle. Präzisiert und eingeschränkt wurden die Aussagen der Holzmüller-Entscheidung in den Jahren 2004/2005 durch die Urteile Gelatine I und II (vgl. BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 155/02, BGHZ 159, S. 30ff. (Gelatine I); BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 154/02, ZIP 2004, S. 1001ff. (Gelatine II)).
II. Konzernbildungskontrolle
1. Satzungsmäßige Ermächtigung
Rn. 31
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Konzernbildung in der AG, KGaA bzw. SE ist dabei unter einer doppelten Fragestellung zu betrachten: nämlich zum ersten derjenigen nach dem Erfordernis einer Satzungsermächtigung und zum zweiten derjenigen nach der Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Mitgliederversammlung. Es entspricht der heute im Schrifttum ganz h. M., dass Maßnahmen des Vorstands, die zur Begründung eines Konzernverhältnisses führen, grds. nicht vom Gegenstand eines UN erfasst sind. Sie bedürfen daher einer Ermächtigung durch die Satzung (vgl. KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 31; Raiser/Veil (2015), § 60, Rn. 33; Strohn, ZHR 2018, S. 114 (154); Goette, AG 2006, S. 522 (526); Lutter, in: FS Stimpel (1985), S. 825 (847); Martens, ZHR 1983, S. 377 (389); Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, S. 805ff.; zum Erfordernis einer Konzernklausel implizit auch BGH, Urteil vom 26.04.2004, II ZR 155/02, BGHZ 159, S. 30 (46); a. A. aber etwa Henze, in: FS Ulmer (2003), S. 211 (216f., 227f.)). Erfasst hiervon wird jede Ausgliederung eines wesentlichen, bislang selbst betriebenen Geschäftszweigs auf ein zu diesem Zweck gegründetes TU, ferner die endgültige Abgabe eines solchen Geschäftszweigs, aber auch der Erwerb einer wesentlichen Beteiligung an einem anderen UN. In der Praxis ist es als Folge dieser Rechtsauffassung üblich geworden, zur Bezeichnung des UN-Gegenstands eine sog. Konzernklausel hinzuzufügen. Umstritten ist, ob bei der Umwandlung einer Gesellschaft in eine Vollholding, d. h. bei Aufgabe jeglicher eigenen unternehmerischen Betätigung, eine über die allg. Konzernklausel hinausgehende Holdingklausel erforderlich ist (vgl. nur KonzernR (2022), Vorbemerkungen zu § 311 AktG, Rn. 31, m. w. N.). Zu beachten ist, dass die HV mit satzungsändernder Mehrheit stets eine Konzernbildung beschließen kann.
2. Zuständigkeit
Rn. 32
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorstand und HV ist bei vorliegender Satzungsermächtigung für jene Konzernbildungen, die als Ausgliederung im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf der Basis des UmwG erfolgen, gesetzlich geklärt. Die §§ 123 Abs. 3, 125, 13, 65 UmwG schreiben zwingend die Mitwirkung der HV vor. Bei anderweitigen Konzernvorgängen, etwa einer Konzernbildung im Wege der Einzelrechtsnachfolge, auf welche die Regelungen des UmwG nicht im Wege der Analogie angewendet werden können (vgl. Aha, AG 1997, S. 345 (356); Henssler/Strohn (2021), § 1 UmwG, Rn. 23f.; Henssler, in: FS Zöllner (1998), S. 203 (214)), muss, selbst wenn eine Satzungsbestimmung vorliegt, eine Zuständigkeit der HV nach den Holzmüller- und Gelatine...