I. Kenntnisnahme durch die Aufsichtsratsmitglieder (Satz 1)
Rn. 20
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Notwendige Voraussetzung und Grundlage für die Prüfungspflicht des AR nach § 171 AktG ist das Recht, die in § 170 Abs. 1 AktG aufgeführten Vorlagen wie auch Prüfungsberichte des AP genau zu kennen. Seit KonTraG sind in § 170 Abs. 3 AktG die Prüfungsberichte ausdrücklich genannt. Diese Änderung ist darin begründet, dass die Prüfungsberichte nicht mehr zu den Vorstandsvorlagen nach § 170 Abs. 1 AktG gehören, sondern nunmehr direkt durch den AP an den AR als primären Adressaten des Prüfungsberichts und zugleich Auftraggeber des AP zu übergeben sind.
Rn. 21
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Das Recht zur Kenntnisnahme steht grds. allen AR-Mitgliedern zu, umfasste jedoch nach der alten Rechtslage nur die Einsichtnahme in die Vorlagen und ihr ein- oder mehrmaliges Lesen in den Räumen der Gesellschaft (vgl. ADS (1997), § 170 AktG, Rn. 51; AktG-GroßKomm. (2018), § 170, Rn. 161ff.; zum Übermittlungsrecht HdR-E, AktG § 170, Rn. 23ff.). Es darf weder eingeschränkt, noch übertragen werden und soll sicherstellen, dass jedes einzelne AR-Mitglied die Unterlagen lesen kann. Das Kenntnisnahmerecht darf des Weiteren auch nicht auf den Gesamt-AR, einen besonderen Ausschuss oder dessen Mitglieder sowie andere Sachverständige, die von den Vorlagen Kenntnis nehmen sollen, beschränkt sein (vgl. ADS (1995), § 170 AktG, Rn. 51; MünchKomm. AktG (2022), § 170, Rn. 110ff.; KK-AktG (2012), § 170, Rn. 43).
Rn. 22
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Den Mitgliedern des AR muss es möglich sein, rechtzeitig von den Vorlagen des Vorstands wie auch den Prüfungsberichten Kenntnis zu nehmen, da sie ohne ausreichende Einsichtsmöglichkeiten ihre Überwachungs- und Prüfungsfunktion nicht ordnungsgemäß wahrnehmen können (vgl. i. d. S. auch BeckOGK-AktG (2023), § 170, Rn. 49ff.; AktG-GroßKomm. (2018), § 170, Rn. 186ff.; KK-AktG (2012), § 170, Rn. 45).
II. Übermittlung an die Aufsichtsratsmitglieder (Satz 2)
Rn. 23
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Das Recht zur Kenntnisnahme gewährt den AR-Mitgliedern nur eine begrenzte und oberflächliche Möglichkeit der Einsichtnahme in die Vorlagen des Vorstands und die Prüfungsberichte. Aus diesem Grund gibt § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG jedem einzelnen AR-Mitglied grds. das Recht, die Übermittlung der Unterlagen zu verlangen. Das Recht auf Übermittlung der Unterlagen kann nach wohl h. M. jedoch durch Beschluss des Gesamt-AR eingeschränkt werden, indem er festlegt, dass die Unterlagen nur den Mitgliedern eines Ausschusses übermittelt werden dürfen (vgl. Hüffer-AktG (2023), § 170, Rn. 14). Dieser – innerhalb des AR gebildete Prüfungsausschuss (vgl. § 107 Abs. 3 AktG: Audit Committee) – hat in diesem Fall dann die Aufgabe, die Vorlagen des Vorstands und die Prüfungsberichte durchzusehen und damit die Bilanzsitzung des AR vorzubereiten. Er steht außerdem – zwecks zusätzlicher Erläuterungen und Unterstützung – in ständigem Kontakt mit dem AP. Die Übermittlung an den Ausschuss kann jedoch das Kenntnisnahmerecht von Mitgliedern des AR, die nicht Mitglied des Prüfungsausschusses sind, nicht einschränken.
Rn. 24
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Diese, durch Art. 1 Nr. 24 lit. b) bb) KonTraG geänderte Gesetzeslage bewirkte, dass jedenfalls den Mitgliedern eines Ausschusses die Vorlagen und Berichte übermittelt werden müssen. Nach § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG (a. F.) war es dem AR möglich, durch Beschluss die Aushändigung der Unterlagen an die AR-Mitglieder zu verhindern (vgl. zu dieser früheren unglücklichen Praxis Hüffer-AktG (2023), § 170 AktG, Rn. 13). Die Neufassung des § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG soll die sinnvolle Erfüllung der gesetzlichen Kontrollaufgaben des AR sicherstellen (vgl. BT-Drs. 13/9712, S. 22). Für Strieder/Graf (BB 1997, S. 1943 (1945)) ist diese (Neu-)Regelung immer noch zu eng, da der Beschluss gemäß § 170 Abs. 3 Satz 2 AktG vom gesamten AR zu fassen ist und ein pflichtgemäßes Abstimmverhalten eines jeden Mitglieds das sorgfältige Durchgehen der Unterlagen, insbesondere der Prüfungsberichte, voraussetzt (vgl. ähnlich ADS (1997), § 170 AktG, Rn. 54; zumindest für große AR relativierend Hüffer-AktG (2023), § 170, Rn. 13).
Rn. 25
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Verteilung der Unterlagen an die AR-Mitglieder erfolgt durch die Übergabe von Mehrausfertigungen und obliegt dem AR-Vorsitzenden (vgl. BT-Drs. 13/9712, S. 22). Den Mitgliedern muss die Gelegenheit gegeben werden, alle Unterlagen in angemessener Zeit durchzuarbeiten. Die Aushändigung hat aus diesem Grund rechtzeitig zu erfolgen. Als Mindestfrist wird i. d. R. die reguläre Einberufungsfrist für AR-Sitzungen einzuhalten sein (vgl. Hüffer-AktG (2023), § 170, Rn. 14).
III. Rechtsdurchsetzung
Rn. 26
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Sowohl das Recht auf Kenntnisnahme als auch das Recht auf Aushändigung (soweit nicht ausgeschlossen) sind Individualrechte der AR-Mitglieder und als solche gegenüber betreffender Gesellschaft einklagbar (vgl. BGH, Urteil vom 15.11.1982, II ZR 27/82, NJW 1983, S. 991f.). Strittig ist, ob daneben auch eine Klage gegen den AR-Vorsitzenden bzw. den AR zulässig ist (vgl. für letzteres differenzierend AktG-GroßKomm. (2018), § 170, Rn. 1...