Prof. Dr. Norbert Herzig, Prof. Dr. Simone Briesemeister-Dinkelbach
Rn. 116
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Abweichungen zwischen HB und StB (vgl. auch Scheffler (2018), Rn. 39ff.; Stehle/Stehle/Leuz (2018), S. 48ff.; L/B/P (2019), §§ 4, 5 EStG, Rn. 337ff.; Kussmaul/Naumann/Berens, Ubg 2021, S. 690 (696ff.)) gehen zurück auf die folgende Ursachen:
(1) |
steuerliche Ansatzge- und -verbote, |
(2) |
steuerliche Bewertungsvorbehalte sowie |
(3) |
einseitige (handels- bzw. steuerliche) bzw. duale Wahlrechte. |
Während von handelsrechtlichen GoB abweichende steuerliche Ansatzge- und -verbote ebenso wie Bewertungsvorbehalte zwingend zu Abweichungen führen (vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 117ff.), sind die Abweichungen im Wahlrechtsbereich bedingter Natur (vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 201ff.). Abweichungen resultieren insoweit aus dualen Wahlrechten, die nach Aufgabe der umgekehrten Maßgeblichkeit in HB und StB unterschiedlich ausgeübt werden können, aus einseitigen steuerrechtlichen Wahlrechten, die autonom ausgeübt werden können und mangels handelsrechtlicher Öffnungsklauseln keinen Eingang in das Handelsrecht finden. Sie sind darüber hinaus Folge einseitiger handelsrechtlicher Wahlrechte, die bei Fehlen steuerlicher Regelungen steuerliche Aktivierungspflichten bzw. Passivierungsverbote nach sich ziehen (vgl. auch HdR-E, Kap. 3, Rn. 91).
I. Zwingende Abweichungen
1. Bilanzansatz
a) Rückstellungen
aa) Drohverlustrückstellungen
Rn. 117
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
Mit dem Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom 29.10.1997 (BGBl. I 1997, S. 2590ff.) wurde entgegen massiver Kritik aus Wissenschaft und Wirtschaft die – handelsrechtlich zwingende – Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (vgl. § 249 Abs. 1) mit dem steuerlichen Verbot (vgl. § 5 Abs. 4a Satz 1 EStG) aus der StB eliminiert (vgl. BT-Drs. 13/8325, S. 2). Vom Verbot ausgenommen sind Verpflichtungsüberhänge aus Bewertungseinheiten, die technisch vereinfachend als Drohverlustrückstellung abgebildet werden (vgl. § 5 Abs. 4a Satz 2 EStG; Meinert, DStR 2017, S. 1447ff.). In Fällen drohender Verluste bestehen außerhalb steuerlich nachzuvollziehender Ergebnisse aus Bewertungseinheiten (vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 61ff.) damit zwingende Abweichungen zwischen HB und StB.
Rn. 118
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Das fiskalisch motivierte steuerliche Ansatzverbot verstößt gegen elementare GoB, es setzt das Imparitätsprinzip für die Passivseite faktisch außer Kraft. Voraussichtlich dauernde Verluste auf der Aktivseite der Bilanz (durch entsprechende Wertminderungen von WG) können demgegenüber im Wege einer Teilwert-AfA berücksichtigt werden (Wahlrecht; vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 221ff.). Mit der steuerlich unterschiedlichen Behandlung ökonomisch vergleichbarer (Verlust-)Sachverhalte stehen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Regelung im Raum, auch da eine bilanztechnische Verlagerung von Verlusten von der Passiv- auf die Aktivseite möglich ist (vgl. Hoffmann, DStR 2000, S. 15 (16); Arndt/Wiesbrock, DStR 2000, S. 718 (719ff.); H/H/R (2021), § 5 EStG, Rn. 2054; a. A. Krüger, FR 2008, S. 625; Bordewin/Brandt (2020), § 5 EStG, Rn. 683: weiter Ermessensspielraum hinsichtlich des Zeitpunkts der Verlustberücksichtigung). Das BVerfG erkannte in steuerlichen Passivierungsverboten bislang keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit oder dem objektiven Nettoprinzip (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2009, 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, S. 685, zum Rückstellungsverbot für Jubiläumszuwendungen). Mit steuerrechtlicher Ablehnung der Verlustantizipation hat sich der Fiskus über den Status als "stiller Gesellschafter" hinweg in die Rolle eines "Vorzugsaktionärs" versetzt, was mit der Teilhaberthese als ursprüngliche materielle Rechtfertigung der Maßgeblichkeitsgrundsatzes (vgl. HdR-E, Kap. 3, Rn. 3) nicht zur Deckung zu bringen war (vgl. Moxter, DB 1997, S. 1477 (1478); Bordewin, FR 1998, S. 226 (228, 231ff.); Herzig/Rieck, BB 1998, S. 311ff.; Hoffmann, DStR 2000, S. 580 (581f.); a. A. Weber-Grellet, DB 1997, S. 2233 (2235)). § 5 Abs. 4a EStG markiert einen zentralen Schritt in der bis dato nahezu abgeschlossenen Destruktion der Teilhaberthese als Rechtfertigungsgrundlage und Funktionsleitlinie des Maßgeblichkeitsgrundsatzes.
Rn. 119–120
Stand: EL 37 – ET: 09/2022
vorläufig frei
bb) Rückstellungen wegen Schutzrechtsverletzungen und Jubiläumsrückstellungen
Rn. 121
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Die Vorbehaltsregelungen des § 5 Abs. 3f. EStG sind Folge der BFH-Entscheidungen zur Bildung von Rückstellungen wegen Patentrechtsverletzungen bzw. Rückstellungen für Jubiläumszuwendungen (vgl. BFH, Urteil vom 11.11.1981, BStBl. II 1982, S. 748; BFH, Urteil vom 05.02.1987, BStBl. II 1987, S. 845; fernerhin das Haushaltsbegleitgesetz 1983 vom 20.12.1982 (BGBl. I 1982, S. 1857ff., ebenso wie das Steuerreformgesetz 1990 vom 25.07.1988 (BGBl. I 1988, S. 1093ff.)).
Rn. 122
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Verpflichtungen wegen Verletzung fremder Patent-, Urheber- oder ähnlicher Schutzrechte, die am BilSt aufgrund erfolgter Rechtsverletzung dem Grunde nach bestehen, deren Höhe aber ungewiss ist, sind ungewisse Verbindlichkeiten i. S. d. § 249 Abs. 1 und damit handelsrechtlich verpflichtend anzusetzen. Voraussetzu...