Dr. Julia Zicke, Prof. Dr. Christoph Hütten
Rn. 15
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die mit der Offenlegung verfolgte Zwecksetzung hat der Gesetzgeber in den Offenlegungsvorschriften des HGB nicht angegeben. Sie lässt sich jedoch aus den Vorschriften der §§ 325–329 und ihrer Stellung im Verhältnis zu anderen Normen ableiten (vgl. zum Folgenden detailliert Hütten (2000), S. 197ff.).
Rn. 16
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die Informationsvermittlung an die Organe eines UN ist offensichtlich nicht der Zweck der Offenlegungsvorschriften, da es für diese UN-interne Publizität eigenständige Vorschriften gibt, die neben den §§ 325–329 stehen:
- für die AG, KGaA und SE hat die Vorlage der RL-Unterlagen an den AR nach Maßgabe des § 170 AktG sowie die Bereitstellung für die Aktionäre gemäß den §§ 175f. AktG zu erfolgen;
- für die GmbH bestimmt § 42a GmbHG die Vorlage der RL-Unterlagen an die Gesellschafter;
- für nach dem PublG rechenschaftspflichtige UN regeln die §§ 7 und 14 PublG eine Pflicht zur Vorlage der RL-Unterlagen an einen vorhandenen AR; sofern die Gesellschafter oder eine andere Stelle über die Feststellung des JA entscheiden, sind ihnen nach § 8 PublG die entsprechenden RL-Unterlagen vorzulegen.
Zu beachten ist weiterhin, dass es keine Zugriffsbeschränkungen auf die offengelegten Unterlagen gibt. Die Unterlagen stehen nicht nur ausgewählten Personengruppen zur Verfügung. Somit ist die Unterrichtung der nicht näher eingegrenzten Öffentlichkeit als Offenlegungszweck anzusehen (vgl. ähnlich auch Bonner HGB-Komm. (2022), § 325, Rn. 3). Interessierten soll ermöglicht werden, sich ein Bild über die Lage sowie Entwicklung eines UN zu machen (vgl. so auch MünchKomm. HGB (2020), § 325, Rn. 7). Folglich ist die handelsrechtliche Offenlegung mit einer sehr weitgefassten Zwecksetzung verbunden. Aus den Erwägungsgründen der Publizitäts- bzw. 1. EG-R geht nämlich hervor, dass diese mitunter deshalb erlassen wurde, weil KapG zum "Schutze Dritter lediglich das Gesellschaftsvermögen zur Verfügung stellen". So lässt sich die handelsrechtliche Offenlegung als Korrelat zur Haftungsbeschränkung der offenlegungspflichtigen UN bzw. als "Preis für die Haftungsbeschränkung" (BT-Drs. 14/2353, S. 26) auffassen (vgl. nur Apelt (1991), S. 73f.; Buschmeyer (1993), S. 83ff.; Ehlig, WPg 1997, S. 513 (516f.); De With (1981), S. 39). Die Offenlegung ist aber auch als Korrelat der Marktteilnahme zu verstehen (vgl. Merkt (2001), S. 332). Auf diese Weise soll nach dem Willen der EU die Versorgung der Marktteilnehmer im Binnenmarkt mit Informationen sichergestellt werden (vgl. Grundmann, DStR 2004, S. 232f.; Cordewener (2009), S. 109ff.). Für die Zwecksetzung der Offenlegung als Korrelat sowohl der Haftungsbeschränkung als auch der Marktteilnahme kommen als Adressaten nur diejenigen in Betracht, die mit betreffendem UN in Verbindung stehen oder in Verbindung treten wollen. Der Adressatenkreis der handelsrechtlichen Offenlegung geht aber darüber hinaus; die breite Öffentlichkeit schließt auch diejenigen mit ein, die nicht unmittelbar mit dem UN in Verbindung treten. Diese Ausweitung lässt sich u. a. damit rechtfertigen, dass sich durch eine Offenlegung gegenüber der breiten Öffentlichkeit ein (mittelbarer) Kontrolleffekt ergibt. "Mit ihrer Hilfe will man kaufmännisch fragwürdige Verhaltensweisen der Unternehmensleitung erschweren und so von vornherein die Wahrscheinlichkeit von Insolvenzfällen mindern" (Prühs, AG 1969, S. 173 (175); vgl. auch Friauf, GmbHR 1985, S. 245 (250); ähnlich MünchKomm. HGB (2020), § 325, Rn. 7).
Rn. 17
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die UN-seitige Offenlegungsmoral entspricht nach wie vor nicht dem, was gesetzesseitig intendiert ist. Zweifellos hat nicht zuletzt das EHUG mit seinen verstärkten Transparenzanforderungen und Rechtsmitteln zur Durchsetzung der Pflichtpublizität die – oftmals als salonfähiges Kavaliersdelikt titulierte – Publizitätsverweigerungstradition (vgl. Küting, BFuP 2015, S. 21 (26), m. w. N.) aufgebrochen (vgl. BT-Drs. 17/5028, S. 4ff.). Doch während der Pflicht zur Offenlegung zwar inzwischen grds. nachgekommen wird, hat sich das Diskretionspotenzial offensichtlich auf die Frage des Offenlegungszeitpunkts verlagert. So stellten Fülbier/Wittmann/Bravidor (DB 2019, S. 797ff.) fest, dass in weit mehr als der Hälfte von 5.000 UN-Beobachtungen in den Jahren 2011 bis 2016 die gesetzliche Offenlegungsfrist von zwölf Monaten nicht eingehalten wurde.
Eine über die zeitliche Verzögerung der Offenlegung hinausgehende Vermeidung oder Minderung der Offenlegung lässt sich u. a. erreichen durch
- eine (sanktionsbehaftete) Komplettverweigerung,
- Umwandlung in PersG,
- Aufspaltung in kleinere KapG,
- Gründung eines ausländischen UN mit inländischer Zweigniederlassung oder
- Aufstellung befreiender KA (mitsamt Lageberichten) im Kontext von § 264 Abs. 3f. bzw. § 264b.
Des Weiteren kommen diverse Offenlegungserleichterungsstrategien in Betracht, die nicht nur aus der Nutzung gesetzlich explizit gewährter Erleichterungen (vgl. §§ 326, 327) erwachsen, sondern zugleich – der eigentlichen Offenlegung b...