Prof. Dr. Hartmut Bieg, Prof. Dr. Gerd Waschbusch
Rn. 126
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Als Rechte, die einem MU nach § 290 Abs. 2 zuzurechnen sind, gelten gemäß § 290 Abs. 3 Satz 1 auch diejenigen Rechte, die
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einem anderen TU, |
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für Rechnung des MU und/oder |
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TU handelnden Personen |
zustehen.
Zur Begründung eines Mutter-Tochter-Verhältnisses müssen dem MU die in Abs. 2 aufgeführten Rechte somit nicht unmittelbar zustehen. Es genügt vielmehr, dass sie einem TU oder einer für Rechnung des MU und/oder TU handelnden Person zustehen. In diesen Fällen wird durch § 290 Abs. 3 unwiderlegbar vermutet, dass die Rechte dem MU zustehen.
Rn. 127
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Durch die gesetzliche Fiktion wird die Möglichkeit eines mittelbaren Mutter-Tochter-Verhältnisses begründet (vgl. HdK (1998), § 290 HGB, Rn. 94ff.).
Beispiel:
Steht der inländischen KapG A bspw. die Mehrheit der Stimmrechte an B zu, so besteht zwischen den UN A und B gemäß § 290 Abs. 2 Nr. 1 ein unmittelbares Mutter-Tochter-Verhältnis. Der Teil der Stimmrechte, der dem TU B an C zusteht (15 %) ist nach § 290 Abs. 3 Satz 1 dem MU A zuzurechnen. An die Berechnung des Teils der Stimmrechte, der dem MU zusteht, sind formale und nicht etwa materielle Anforderungen zu stellen, mit der Konsequenz, dass der Teil der Stimmrechte, der auf das MU A entfällt, und derjenige Teil, der dem TU B zusteht, zu addieren sind. Dies entspricht sowohl dem Wortlaut des Gesetzes als auch dem Zweck des KA, zumal A mittelbar über seine beherrschende Stellung bei B auch dessen 15 % der Stimmrechte an C voll geltend machen kann. Zusammen mit dem Teil der Stimmrechte, der dem MU A unmittelbar an UN C zusteht, errechnet sich für A eine Mehrheit der Stimmrechte an C von insgesamt 55 %. Zwischen A und C besteht somit kraft Fiktion ein mittelbares Mutter-Tochter-Verhältnis.
Rn. 128
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Beispiel:
Im vorliegenden Beispiel besteht zwischen der inländischen KapG A und B, B und C sowie C und D jeweils eine Stimmrechtsmehrheit gemäß § 290 Abs. 2 Nr. 1. Hinsichtlich der jeweiligen Beteiligungshöhe aus Sicht von A verhält es sich dabei wie folgt:
- A ist an B direkt (unmittelbar) zu 51 % beteiligt;
- A ist über B an C indirekt (mittelbar) zu 51 % beteiligt;
- A ist über B und C an D indirekt (mittelbar) zu 100 % beteiligt.
Die dargestellte Konstellation dokumentiert eindrucksvoll, dass es A möglich ist, über 100 % des (Netto-)Vermögens von D zu bestimmen, obgleich der Kap.-Anteil, den A an D hält, sich lediglich auf 26,01 % (= 0,51 × 0,51 × 1,0) beläuft. Dies verdeutlicht – neben der Thematik und Problematik einer mittelbaren (Mehrheits-)Beteiligung – auch, wie die Finanzierungsstruktur bzw. das Finanzierungsprinzip in vielen Konzernen gestaltet ist (vgl. zu speziell diesem "Basiseffekt der Konzernierung" auch Dusemond/Küting/Wirth (2018), S. 97f.). Durch den Erwerb einer Beteiligung i. H. v. 51 % an B besitzt A die Möglichkeit, mittelbar über B und C, auch über 100 % des Vermögens sowie der Schulden, Aufwendungen und Erträge von D zu verfügen.
Der "Finanzierungsvorteil" bei knapper Mehrheitsbeteiligung darf allerdings nicht ohne das damit verbundene Risiko gesehen werden. In dem Moment, indem auf einer Zwischenebene die Mehrheitsbeteiligung nicht mehr aufrechterhalten werden kann, bricht neben dem direkt betroffenen UN regelmäßig auch der gesamte, hierarchisch unter dem Konzern-UN liegende Konzernteil weg. Mit Blick auf das hier dargestellte Beispiel bedeutet dies, dass sobald die 51 % an B nicht mehr gehalten werden können, nicht nur das UN B aus dem Konzern ausscheidet, sondern zugleich auch die UN C und D nicht mehr betreffendem Konzern zuzurechnen sind.
Rn. 129
Stand: EL 41 – ET: 12/2023
Die Rechte nach § 290 Abs. 2, die einem TU bei einem anderen UN zustehen, sind dem MU auch dann zuzurechnen, wenn das TU wegen eines Einbeziehungswahlrechts nach § 296 nicht einbezogen wird. Entscheidend für die Zurechnung ist das Bestehen eines unmittelbaren oder mittelbaren Mutter-Tochter-Verhältnisses und nicht die Einbeziehung in den KA (vgl. HdK (1998), § 290 HGB, Rn. 96).
Beispiel:
Dieses Beispiel zeigt den Teil der Stimmrechte, der den UN A, B und D unmittelbar an einem anderen UN zusteht. Trotz Bestehens eines Mutter-Tochter-Verhältnisses i. S. d. § 290 Abs. 2 Nr. 1 zwischen den UN A und D wird D in diesem Beispiel wegen untergeordneter Bedeutung (vgl. § 296 Abs. 2) nicht in den KA einbezogen. Gleichwohl muss der Teil der Stimmrechte, der D bei dem UN C zusteht (15 %), nach § 290 Abs. 3 Satz 1 dem UN A zugerechnet werden. Damit steht A bei C die Mehrheit der Stimmrechte zu (45 % + 15 % = 60 %). Dagegen kann der Teil der Stimmrechte, der B bei C zusteht, nicht nach § 290 Abs. 3 Satz 1 dem UN A zugerechnet werden, da B – ohne weitere Voraussetzungen – kein TU von A ist.