Prof. Dr. Martin Henssler, Dr. David Markworth
Rn. 64
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 311 AktG regelt die Rechtsfolgen einer Nachteilszufügung nur teilweise. Er stellt die grds. rechtswidrige Nachteilszufügung nur für den Fall sanktionslos, dass der abhängigen Gesellschaft während des GJ entweder tatsächlich ein objektiv gleichwertiger Vorteil zugewendet oder ihr in diesem Zeitraum zumindest ein Rechtsanspruch auf eine entsprechende Kompensationsleistung eingeräumt wird (Wahlrecht). Unterbleibt ein solcher Nachteilsausgleich im GJ, so greifen als Rechtsfolgen die Schadensersatzpflichten nach § 317 AktG.
Rn. 65
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Die noch während des GJ erbrachte Kompensationsleistung ist ihrer Rechtsnatur nach kein Schadensersatz (heute h. M.; vgl. KK-AktG (2004), § 311, Rn. 119; MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 314f.); vielmehr lässt § 317 AktG Schadensersatzansprüche überhaupt erst dann entstehen, wenn das UN die Alternativen des § 311 Abs. 2 AktG nicht genutzt hat. Eines schuldhaften Verhaltens der Organe bzw. Repräsentanten des beherrschenden UN bedarf es nach der Konzeption des § 311 AktG zur Begründung der Kompensationspflicht nicht, so dass eine Herleitung der Ersatzpflicht aus dem Deliktsrecht (vgl. dazu Gessler, in: FS Westermann (1974), S. 145 (160ff.)) von vornherein nicht überzeugen kann. In dogmatischer Hinsicht ist zudem der Unterschied zwischen Schaden (bereits eingetretene Vermögensbeeinträchtigung) und Nachteil (auch die Verursachung erst künftig eintretender Schäden; vgl. dazu HdR-E, AktG § 311, Rn. 38) zu beachten (vgl. auch KK-AktG (2004), § 311, Rn. 119). Sachgerecht erscheint damit die Einordnung als Leistungspflicht eigener Art. Die Integration der abhängigen Gesellschaft in die wirtschaftliche Funktionseinheit des beherrschenden UN und die hiermit verbundene Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft wird vom Gesetz geduldet, sofern dieser äquivalente wirtschaftliche Gegenwerte zufließen. Dagegen begründet eine deliktrechtlich tatbestandsmäßige schuldhafte Schädigung der abhängigen Gesellschaft auch im faktischen Konzern eine Schadensersatzpflicht. Der Privilegierungstatbestand des § 311 AktG greift hier nicht (vgl. AktG-GroßKomm. (1975), § 311, Rn. 6). Die Schadensersatzpflicht ergibt sich nicht erst als Folge der unterbliebenen Kompensation.
Rn. 66
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Einen Rechtsanspruch der abhängigen Gesellschaft auf die Ausgleichsleistung gewährt § 311 AktG nicht (h. M.; vgl. nur KK-AktG (2004), § 311, Rn. 122; HB-GesR (2020/IV), § 70, Rn. 89; MünchKomm. AktG (2020), § 311, Rn. 378). Das entspricht dem gesetzlichen Konzept, die rechtswidrige Nachteilszufügung nur für den Fall eines zeitnahen Ausgleichs sanktionslos zu stellen. Es handelt sich damit um eine Rechtspflicht minderer Zwangsintensität (vgl. so zutreffend Hüffer-AktG (2022), § 311, Rn. 38; ebenso KonzernR (2022), § 311 AktG, Rn. 61, 75). Überzeugend ist der gesetzliche Lösungsansatz allerdings nicht. Aus Sicht der Schuldrechtsdogmatik besteht kein Bedarf für eine solche zwischen einer bloßen Obliegenheit und einer forderungsbewehrten Verpflichtung angesiedelten Rechtspflicht, deren Verletzung nicht nur zu einem Rechtsverlust (wie bei einer Obliegenheit) führt, sondern auch zu einem Schadensersatzanspruch.