Prof. Dr. Christoph Hütten, Prof. Dr. Peter C. Lorson
I. Regelungsziel
Rn. 57
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
Die in den §§ 266, 275 für die Bilanz und die GuV vorgesehenen Gliederungen stellen auf die branchenübergreifenden Bedürfnisse von Industrie- und Handels-UN ab. Besonderheiten einzelner Branchen können zwar durch eine Anpassung nach § 265 Abs. 6 (vgl. HdR-E, HGB § 265, Rn. 81ff.) berücksichtigt werden. Derartige Modifikationen reichen jedoch für bestimmte branchenbedingte Besonderheiten nicht aus. Daher sieht § 330 Abs. 1 eine Rechts-VO-Ermächtigung vor, mittels der spezielle Gliederungen für solche UN vorgeschrieben werden können, deren "Geschäftszweig eine von den §§ 266, 275 abweichende Gliederung des Jahresabschlusses [...] erfordert." Entsprechende Rechts-VO wurden bspw. für Kreditinstitute, Versicherungs-, Wohnungs- und Verkehrs-UN erlassen (vgl. HdR-E, HGB § 330). Vor diesem Hintergrund regelt § 265 Abs. 4 den Fall, in dem ein UN in mehreren Geschäftszweigen tätig ist, für die unterschiedliche Bilanz- und GuV-Gliederungen vorgeschrieben sind.
II. Reichweite der Regelung
Rn. 58
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
§ 265 Abs. 4 Satz 1 ist zunächst unstrittig auf die Fälle anzuwenden, in denen ein UN in mehreren Geschäftszweigen tätig ist, für die unterschiedliche Gliederungsvorschriften für die Bilanz und/oder GuV zwingend vorgeschrieben sind. Angesichts der Begriffe "bedingt" und "vorgeschrieben" im Wortlaut der Regelung ist jedoch fraglich, ob § 265 Abs. 4 auch dann einschlägig ist, wenn die Anwendung einer branchenspezifischen Gliederung nicht zwingend ist, sondern lediglich ein entsprechendes Wahlrecht vorgesehen ist. So dürfen bspw. in der Rechtsform einer KapG geführte Krankenhäuser nach § 1 Abs. 3 KHBV wählen, ob sie ihre Bilanz und GuV nach den §§ 266, 275 oder nach Maßgabe der in der KHBV vorgesehenen Gliederungsvorschriften gliedern wollen. Nach hier vertretener Ansicht ist auch in solchen Fällen § 265 Abs. 4 anzuwenden (vgl. so offensichtlich auch ADS (1997), § 265, Rn. 48). Anderenfalls wäre es hier nicht möglich, die Besonderheiten eines Geschäftszweigs zu berücksichtigen, selbst wenn dieser im UN dominant ist. Es ist nicht einsichtig, weshalb der Gesetzgeber eine solche Beeinträchtigung der Informationsqualität hätte regeln wollen.
Rn. 59
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
In allen übrigen Fällen – und damit insbesondere dann, wenn ein UN in unterschiedlichen Geschäftszweigen tätig ist, für die keine von den §§ 266, 275 abweichenden Gliederungsvorschriften vorgesehen sind – ist eine Anpassung der Gliederung nach § 265 Abs. 4 nicht möglich.
III. Bestimmung der Gliederung
Rn. 60
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
Zur Umsetzung des § 265 Abs. 4 Satz 1 im Fall mehrerer Geschäftszweige mit unterschiedlichen Gliederungsvorschriften ist zunächst eine der Gliederungen als Primärgliederung auszuwählen. Die Bilanz bzw. GuV ist dann entsprechend diesem Primärschema zu gliedern und zusätzlich um Posten zu erweitern, welche die Gliederungsvorschriften der anderen Geschäftszweige vorsehen. Die zusätzlichen Posten sind grds. in der Bilanz bzw. GuV auszuweisen. Eine Angabe der Posten im Anhang ist nur zulässig, sofern dies nach § 265 Abs. 7 möglich ist.
Rn. 61
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
§ 265 Abs. 4 Satz 1 macht keine Vorgaben zu den Kriterien, nach denen das Primärschema auszuwählen ist. Damit besteht nach hier vertretener Ansicht grds. diesbezüglich ein Wahlrecht, das jedoch nur insoweit ausgeübt werden kann, wie dem Grundsatz der Klarheit und Übersichtlichkeit des § 243 Abs. 2 entsprochen wird. Ein klarer und übersichtlicher JA dürfte jedoch regelmäßig dann nicht mehr vorliegen, wenn die verschiedenen Geschäftszweige für das UN von deutlich unterschiedlicher Bedeutung sind und die Auswahl der Primärgliederung dem nicht gerecht wird.
Rn. 62
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
§ 265 Abs. 4 Satz 1 verlangt auch nicht, dass die Bestimmung der Primärgliederungen für die Bilanz und GuV dahingehend einheitlich erfolgen muss, dass für beide auf dieselbe Regelung (§§ 266, 275 oder Rechts-VO) zurückgegriffen werden muss. Es dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen mit dem Klarheitsgrundsatz des § 243 Abs. 2 vereinbar sein, die Bilanz bspw. nach § 266, die GuV jedoch nach einer branchenspezifischen Vorschrift zu gliedern.
Rn. 63
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
§ 265 Abs. 4 Satz 1 lässt auch offen, nach welchen Kriterien diejenigen Posten der anderen Gliederungen auszuwählen sind, um die das Primärschema zu ergänzen ist. Nach hier vertretener Ansicht kommt eine solche Ergänzung nur für solche Posten in Betracht, die
- entweder im Primärschema nicht vorgesehen sind oder
- zwar unter Posten der Primärgliederung subsumiert werden können, angesichts ihrer Bedeutung für eine den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Darstellung jedoch gesondert aufgeführt werden sollten.
IV. Anhangangaben
Rn. 64
Stand: EL 35 – ET: 03/2022
Nach § 265 Abs. 4 Satz 2 ist die Ergänzung der Gliederung im Anhang anzugeben und zu begründen. Diese Pflicht wird nach hier vertretener Ansicht erfüllt, wenn die folgenden Informationen vermittelt werden:
- Nennung der Geschäftszweige, für die unterschiedliche Gliederungen vorgeschrieben sind;
- Nennung de...