Prof. Dr. Dr. h.c. Jörg Baetge, Dr. Boris Hippel
I. Überblick
Rn. 51
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 264 Abs. 3 gewährt KapG unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, sich von der Beachtung wesentlicher Teile der für KapG geltenden RL-, Prüfungs- und Offenlegungsvorschriften zu befreien. Die Befreiung bezieht sich auf die detaillierteren Vorschriften für die Erstellung von Bilanz und GuV, die Erstellung von Anhang und Lagebericht, die Prüfungspflicht und die Pflicht zur Offenlegung von JA und Lagebericht. Werden die Erleichterungen in Anspruch genommen, brauchen insoweit nur die für alle Kaufleute geltenden Vorschriften beachtet zu werden. § 264 Abs. 3 bezieht sich ausschließlich auf den JA, eine ggf. bestehende Verpflichtung zur Aufstellung eines KA bleibt hiervon unberührt.
Mit dieser Regelung werden den UN erhebliche Erleichterungen gewährt. V.a. die Entbindung von der Pflicht zur Aufstellung des Anhangs und Lageberichts sowie der Wegfall der Verpflichtung zur Offenlegung im UN-Register sind für viele UN von wesentlicher Bedeutung.
Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Erleichterungen sind insbesondere die Einbeziehung einer nicht i. S. d. § 264d kap.-marktorientierten KapG als TU in den KA eines MU sowie eine Erklärung des MU, für die von betreffendem TU bis zum Abschlussstichtag eigegangenen Verpflichtungen im folgendem GJ einzustehen. Letzteres ist z. B. immer dann der Fall, wenn ein GAV i. S. d. § 291 Abs. 1 AktG besteht, aber nicht hierauf beschränkt.
Damit eine KapG als TU eines MU ist, das einen KA nach den Vorschriften des PublG aufgestellt hat, die Befreiungsvorschriften von § 264 Abs. 3 in Anspruch nehmen kann, darf diese nicht vom Wahlrecht des § 13 Abs. 3 Satz 1 PublG Gebrauch machen (vgl. § 264 Abs. 4), d. h. auf die Angabe von Organgesamtbezügen verzichten. Eine Ausnahme besteht, sofern sich anhand dieser Angaben die individuellen Bezüge eines Organmitglieds feststellen lassen (vgl. § 314 Abs. 3 i. V. m. § 286 Abs. 4). Durch die im Zusammenhang mit dem BilRUG eingeführte Formulierung "aufgestellt hat", wurde klargestellt, dass sich die Vorschrift auch auf freiwillig nach dem PublG aufgestellte Abschlüsse bezieht (vgl. BT-Drs. 18/4050, S. 59).
Rechtsfolgen ergeben sich für eine KapG aus den §§ 334ff. bspw., weil Vorschriften zur Aufstellungsfrist oder zur Offenlegung des KA missachtet wurden, wobei ein Verstoß gegen die Befreiungsvorschrift des § 264 Abs. 3 nicht justiziabel ist.
Rn. 52
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
Zu beachten ist, dass Regelungen in der Satzung bzw. im Gesellschaftervertrag der Inanspruchnahme von Erleichterungen des § 264 Abs. 3 entgegenstehen können. Dies trifft z. B. zu, wenn dort eine Prüfungspflicht oder Aufstellungsfristen für den JA festgelegt sind.
II. Geltungsbereich des § 264 Abs. 3
Rn. 53
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
§ 264 Abs. 3 gilt unmittelbar für alle KapG, sofern diese nicht gemäß § 264d kap.-marktorientiert sind. Eine kap.-marktorientierte KapG darf die Erleichterungen des § 264 Abs. 3 nicht in Anspruch nehmen, denn diese muss als Inlandsemittent gemäß § 114 Abs. 1 Satz 1 WpHG i. V. m. Abs. 2 WpHG einen Jahresfinanzbericht veröffentlichen, der den geprüften JA und Lagebericht zu umfassen hat. Indes kann Abs. 3 von UN anderer Rechtsformen angewendet werden, die aufgrund anderer Gesetze die Vorschriften für KapG bzw. § 264 zu beachten haben. Die Befreiung von den Regelungen des Vierten Unterabschnitts, d. h. die Offenlegungsvorschriften (vgl. §§ 325ff.), dürfen Kreditinstitute und Versicherungs-UN seit Geltung des Finanzmarktintegritätsstärkungsgesetzes (FISG) vom 03.06.2021 (BGBl. I 2021, S. 1534ff.) nicht mehr anwenden (vgl. BT-Drs. 19/29879, S. 155f.).
Für PersG, die § 264a beachten müssen, weil kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist, werden in § 264b dem § 264 Abs. 3 entsprechende Erleichterungen gewährt. § 264b hat als Spezialvorschrift Vorrang vor § 264 Abs. 3 (vgl. ADS (2001), § 264, Rn. 9). Die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Erleichterungen sind mit denjenigen des § 264 Abs. 3 vergleichbar (vgl. im Einzelnen HdR-E, HGB § 264a; HdR-E, HGB § 264b).
Für UN, die das PublG beachten müssen, werden vergleichbare Erleichterungen durch § 5 Abs. 6 PublG gewährt. Bezüglich Der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Erleichterungen verweist § 5 Abs. 6 PublG auf § 264 Abs. 3.
Für eG wird in § 336 Abs. 2 zwar auf die Generalnorm des § 264 Abs. 2, nicht aber auf Abs. 3 verwiesen. Die Befreiungsmöglichkeit des § 264 Abs. 3 kann damit von eG nicht in Anspruch genommen werden.
III. Umfang der Erleichterungen des § 264 Abs. 3
1. Befreiung von den Vorschriften zum Jahresabschluss und Lagebericht
Rn. 54
Stand: EL 38 – ET: 01/2023
UN, die die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Befreiung gemäß § 264 Abs. 3 (vgl. HdR-E, HGB § 264, Rn. 60ff.) erfüllen, brauchen den Ersten Unterabschnitt (vgl. §§ 264 bis 289f), den Dritten Unterabschnitt (vgl. §§ 316 bis 324a) und den Vierten Unterabschnitt (vgl. §§ 325 bis 329) der ergänzenden Vorschriften für KapG sowie bestimmte PersG des HGB nicht anzuwenden.
Der Erste Unterabschnitt (vgl. §§ 264 bis 289f) enthält die ergänzenden Vorschriften zum JA und Lagebericht der KapG. Von der Beachtung dieser Vorschri...