I. Vorabausschüttung
1. Einführung
Rn. 83
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Vorabausschüttungen (auch als "Gewinnvorschüsse", "Abschlagszahlungen", "Zwischendividende" etc. bezeichnet) sind offen vorgenommene Vorauszahlungen der Gesellschaft auf einen bereits erzielten oder erst künftig und wahrscheinlich zu erwartenden Gewinn, welche vor Feststellung des JA für das betreffende GJ erfolgen. Sie sind bei einer GmbH nach ganz überwiegender Auffassung sowohl handels- als auch steuerrechtlich zulässig, ohne an die besonderen Voraussetzungen des § 59 AktG (z. B. Zahlung erst nach Ablauf des GJ) gebunden zu sein (vgl. GmbHG-GroßKomm. (2020), § 29, Rn. 229; überdies BFH, Urteil vom 27.01.1977, I R 39/75, BStBl. II 1977, S. 491ff.; Lutter/Hommelhoff (2023), § 29 GmbHG, Rn. 45ff., NK-GmbHG (2020), § 29, Rn. 62ff.).
2. Voraussetzungen
Rn. 84
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die Vorabausschüttung kann im laufenden GJ erfolgen. Sie stellt eine Maßnahme der Gewinnverteilung dar und setzt daher gemäß den §§ 46 Nr. 1 und 42a Abs. 2 GmbHG einen entsprechenden Beschluss der Gesellschafter voraus, soweit die Satzung hierüber keine abweichende Bestimmung enthält. Die Satzung kann die Vornahme von Vorabausschüttungen – wie Fragen der Gewinnverteilung überhaupt (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 26ff., 44ff.) – generell regeln und insbesondere die Gesellschafter ausdrücklich zu einer diesbezüglichen Beschlussfassung ermächtigen. Soll allerdings der gesetzliche Regelfall des § 46 Nr. 1 GmbHG gelten, bedarf es einer derartigen Satzungsermächtigung als Voraussetzung der Zulässigkeit einer Vorabausschüttung nicht (h. M.; vgl. Baumbach/Hueck (2022), § 29 GmbHG, Rn. 60; GmbHG-GroßKomm. (2020), § 29, Rn. 234; Scholz-GmbHG (2022), § 29, Rn. 106; offen gelassen in BFH, Urteil vom 27.01.1977, I R 39/75, BStBl. II 1977, S. 491ff., da der Gewinnverteilungsbeschluss nicht angefochten wurde). Denn § 29 Abs. 1 GmbHG enthält kein Verbot der Vorabausschüttung, das erst durch eine Satzungsbestimmung aufgehoben werden müsste, sondern diese Vorschrift lässt Ausschüttungen durch Beschluss grds. zu. Solche Beschlüsse stellen lediglich den bedingten mitgliedschaftsrechtlichen Gewinnanspruch fällig (vgl. HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 6). Einer Regelung in der Satzung bedarf es allerdings dann, wenn – abweichend von § 46 Nr. 1 GmbHG – z. B. die Geschäftsführer ohne Ermächtigung durch Gesellschafterbeschluss berechtigt sein sollen, Vorabausschüttungen vorzunehmen.
Rn. 85
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die Zulässigkeit der Vorabausschüttung ist – unstreitig – an die folgenden materiellen Voraussetzungen gebunden:
(1) |
begründete Erwartung eines Jahresüberschusses im laufenden GJ, der nicht durch Verlustvorträge neutralisiert wird; |
(2) |
keine Verletzung des Grundsatzes der Kap.-Erhaltung (vgl. § 30 GmbHG), wonach das zur Erhaltung des Stammkap. erforderliche Vermögen der Gesellschaft nicht an die Gesellschafter ausgezahlt werden darf. |
Rn. 86
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Strittig ist hingegen, ob die Vorabausschüttung zwingend die Aufstellung einer Zwischenbilanz voraussetzt, welche den zur Auszahlung vorgesehenen Gesamtbetrag als Überschuss ausweist. Nach wohl h. M. (vgl. z. B. GmbHG-GroßKomm. (2020), § 29, Rn. 237) ist dies – jedenfalls für den Regelfall – zu verneinen (vgl. so auch NK-GmbHG (2020), § 29 GmbHG, Rn. 62ff., sowie Lutter/Hommelhoff (2023), § 29 GmbHG, Rn. 45, und Meyer-Landrut/Miller/Niehus (1987), § 29 GmbHG, Rn. 15, die lediglich eine "bilanzähnliche Vorausrechnung" für erforderlich halten; Schmidt (2002), S. 1186, hält eine Zwischenbilanz für unnötig). Auch aus steuerrechtlicher Sicht ist die Aufstellung einer Zwischenbilanz nicht stets und jedenfalls dann nicht erforderlich, wenn offene Rücklagen oder Gewinnvorträge vorhanden sind und ersichtlich ist, dass das WJ nicht mit einem Verlust abschließen wird (vgl. BFH, Urteil vom 27.01.1977, I R 39/75, BStBl. II 1977, S. 491ff.). Eine Zwischenbilanz ist gleichwohl geeignet, die Einhaltung des § 30 GmbHG zu kontrollieren. Sie wird sich v.a. in Zweifelsfällen und nicht zuletzt auch aus forensischen Erwägungen empfehlen (vgl. im Einzelnen Gschwendtner, BB 1978, S. 109, 119f.). Sie ist daher in der Praxis die Regel. Zwischenbilanzen leiden aber notwendigerweise unter dem Mangel, dass sie nur auf einen Teil des GJ bezogen und als Grundlage für die Gewinnermittlung ungeeignet sind, da sie nur vorläufige BV-Mehrungen ausweisen. Vorabausschüttungen sind aber nach Grund und Höhe von dem endgültigen, festgestellten Jahresüberschuss des GJ abhängig (vgl. Gschwendtner, BB 1978, S. 109 (120)). Es sind Fälle denkbar, in denen eine auf den Ausschüttungszeitpunkt bezogene Bilanz als Zwischenergebnis einen geringeren Betrag ausweist als zur Vorabausschüttung vorgesehen ist, zum GJ-Ende nach verlässlicher Schätzung jedoch ausreichend hohe Gewinne (z. B. bei langfristiger Auftragsfertigung) zu erwarten sind. In diesem Fall ist eine höhere Vorabausschüttung denkbar, als sie die Zwischenbilanz ausweist, wenn die unter HdR-E, GmbHG § 29, Rn. 87, genannten Voraussetzungen vorliegen und § 30 GmbHG nicht verletzt ...