Rn. 84
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
§ 250 Abs. 3 Satz 1 räumt dem Bilanzierenden für solche Fallkonstellationen, in denen der Erfüllungs- den Ausgabebetrag einer Verbindlichkeit übersteigt, ein "echtes" Aktivierungswahlrecht ein (vgl. offenkundig mit anderer – hier nicht zu teilender – Ansicht BeckOGK-HGB (2020), § 250, Rn. 41ff.). Solch ein Unterschiedsbetrag, allg. als "Disagio" (bei hypothekarisch gesichertem Darlehen auch als "Damnum") bezeichnet, ist, falls er aktiviert wird, als aktiver RAP anzusetzen. Diese Vorschrift gilt rechtsformunabhängig. Während in der HB ein Aktivierungswahlrecht für das Disagio gegeben ist, besteht in der StB eine generelle Ansatzpflicht (vgl. § 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG; H 6.10 EStH (2021); sodann grundlegend Scheel (2010), S. 58ff., m. w. N.); für den eher seltenen Fall eines den Ausgabebetrag unterschreitenden Erfüllungsbetrags (sog. Ausgabeaufgeld) ist die korrespondierende Bildung eines passiven RAP dagegen zwingend (vgl. lediglich BeckOGK-HGB (2020), § 250, Rn. 54).
Rn. 85
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Wirtschaftlich betrachtet stellt das Disagio ein zusätzliches Entgelt für das dem Darlehensnehmer überlassene Kap. dar. Es hat damit zinsähnlichen Charakter. Die Praxis zeigt nämlich, dass der Nominalzins für ein Darlehen i. d. R. umso niedriger ist, je höher das Disagio ist. Die Ermittlung des Disagios ist auf das direkte Verhältnis zum Kreditgeber begrenzt (vgl. HB-RP (1986), § 250 HGB, Rn. 46).
Rn. 86
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Disagio, Zins und Nominalwert sind die laufzeitabhängigen Komponenten eines Darlehens. Die Laufzeitabhängigkeit verknüpft mit dem Charakter eines vorweg gezahlten Zinses begründet die Abgrenzungsfähigkeit des Disagios (vgl. zudem HdJ, Abt. II/9 (2021), Rn. 151f., 155; BeckOGK-HGB (2020), § 250, Rn. 39). Damit unterscheidet es sich sowohl von Ausgabe- bzw. Kreditnebenkosten (Bankprovisionen, Druck- und Werbekosten etc.) als auch von anderen Kosten der Geldbeschaffung, die, wie z. B. Abschluss-, Bearbeitungs- und Verwaltungsgebühren, gegenüber einem Dritten entrichtet werden. So hieß es denn bereits im Ausschussbericht zu § 156 AktG 1965, der Unterschiedsbetrag sei "betriebswirtschaftlich als vorweg gezahlter Zins anzusehen" (Kropff (1965), S. 248; vgl. überdies BT-Drs. 10/317, S. 82; BT-Drs. 10/4268, S. 99). Wenn Tiedchen vor diesem Hintergrund die Feststellung trifft, dass "jeglicher Abzug, der bei der Auszahlung von dem Erfüllungsbetrag einer Verbindlichkeit gemacht wird, zum Disagio i. S. d. § 250 Abs. 3 HGB gehört" (HdJ, Abt. II/9 (2021), Rn. 156), kann dies nicht unwidersprochen bleiben; vielmehr ist der von Hömberg/König/Weber (Bonner HGB-Komm. (2020), § 250, Rn. 93; vgl. auch Bachem, BB 1991, S. 1671 (1672)) vertretenen Auffassung vollumfänglich beizupflichten, dass derartige (weitere) Bestandteile jenem Unterschiedsbetrag nicht zugerechnet werden können, weil eben die "gesetzliche Regelung eindeutig und abschließend definiert, wie der Unterschiedsbetrag zu berechnen ist". Diese Tatsache größtenteils gänzlich negierend, wird demgegenüber von anderer Seite betont, dass diesen unabhängig von der Laufzeit der betreffenden Verbindlichkeit anfallenden Gebühren/Kosten Einmalcharakter zufiele, weshalb eine Klassifizierung als RAP damit per se zu entfallen habe und stattdessen handelsrechtlich eine sofortige Aufwandsverrechnung geboten sei (vgl. Biener/Berneke (1986), S. 85; MünchKomm. HGB (2020), § 250, Rn. 14; Bonner-HdR (2020), § 250 HGB, Rn. 117f.; HGB-PraxisKomm. (2020), § 250, Rn. 35; Herzig/Joisten, DB 2011, S. 1014 (1018f.); nicht eindeutig Haufe HGB-Komm. (2022), § 250, Rn. 20f.; a. A. Meyer-Scharenberg, DStR 1991, S. 754 (757)). Dem aber steht – ungeachtet der Existenz eines solchen Disagios – die Notwendigkeit gegenüber, derartige Gebühren gleichwohl daraufhin untersuchen zu müssen, ob sie die Ansatzvoraussetzungen des § 250 Abs. 1 erfüllen. Ist dies nicht der Fall, hat eine Aktivierung zu unterbleiben, anderenfalls wäre – wie etwa im Falle von Bearbeitungsentgelten an ein Kreditinstitut für die Übernahme einer Bürgschaft (vgl. BFH, Urteil vom 19.01.1978, IV R 153/72, BStBl. II 1978, S. 262; überdies Moxter (2007), S. 74f.) – zwingend ein (aktiver) RAP zu bilden (vgl. Bonner HGB-Komm. (2020), § 250, Rn. 93; HdB (2020), Stichwort- Nr. 104, Rn. 56f.; HGB-HandKomm. (2020), § 250, Rn. 29).
Rn. 87
Stand: EL 43 – ET: 08/2024
Die Einräumung eines handelsrechtlichen Aktivierungswahlrechts für ein Auszahlungsdisagio bzw. Rückzahlungsagio entspricht Art. 12 Abs. 10 Satz 1 der Bilanz-R (zuvor: Art. 41 Abs. 1 Satz 1 der 4. EG-R) und damit der konsequenten Fortsetzung der im AktG 1965 in § 165 Abs. 3 Satz 2 bereits für die AG geltenden Bestimmung. Mit der Aufnahme dieser Vorschrift in den Ersten Abschn. des Dritten Buchs des HGB gilt das Aktivierungswahlrecht nun aber für alle Kaufleute, d. h. rechtsformunabhängig. Indem das Aktivierungswahlrecht für das Disagio in § 250 Abs. 3 Satz 1 gesondert kodifiziert wurde, kann auf die Prüfung, ob sich das Disagio nicht ...