Rn. 64
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Gemäß § 241 Abs. 1 Satz 1 kann seit dem 01.01.1977 durch die mit dem Einführungsgesetz zur Abgabenordnung (EGAO) vom 14.12.1976 (BGBl. I 1976, S. 3341ff.) – zunächst in § 39 Abs. 2 – vorgenommenen Änderungen im HGB (vgl. HdR-E, HGB § 241, Rn. 3) bei der Aufstellung des Inventars der Bestand der VG nach Art, Menge und Wert auch aufgrund von Stichproben ermittelt werden (vgl. HFA 1/1981, WPg 1990, S. 649ff.). Der gebräuchliche Begriff der Stichprobeninventur wird vom Gesetzgeber nicht explizit genannt. Das Gesetz spricht allg. von einem Verfahren, welches sich der Kaufmann im Zuge der Inventarerstellung mit Hilfe mathematisch-statistischer Methoden bedient, um auf Basis von Stichproben den Bestand der VG nach Art, Menge und Wert zu ermitteln. Wie bei den anderen Inventurvereinfachungen sind auch im Bereich der Stichprobeninventur die "elastischen Verfahrensbeschreibungen" (Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 3) darauf zurückzuführen, dass alle Vereinfachungen den Rationalisierungsbestrebungen der kaufmännischen Praxis entstammen (vgl. schon Bujack/Roth, DB 1959, S. 577ff., 601ff.; Mertz, AStA 1966, S. 241ff.; Roth, DB 1966, S. 429 (434); zudem Broermann (1987), S. 47f.), die nachträglich vom Gesetzgeber anerkannt worden sind. Somit sind im Schrifttum bisher nicht genannte zukünftige genutzte Stichproben- oder Praktikerverfahren (vgl. AWV (1984); Fandel, FB-IE 2000, S. 190 (191ff.)) stets auf ihren Einklang mit den nachstehend zu erläuternden Verfahrensanforderungen zu prüfen.
Rn. 65
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Anwendung der Stichprobenverfahren ist nicht auf die Vorräte beschränkt und kann auf andere VG nicht aber Schulden (vgl. mit a. A. Offerhaus, BB 1976, S. 1622 (1624)) übertragen werden (vgl. Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 5). Typische Anwendungsbeispiele i. R.d. Vorratsinventur sind die unfertigen Erzeugnisse und Werkstattbestände. Hier liegen regelmäßig Bestände mit großen Einzelstückzahlen vor, bei denen sich die Erleichterungen durch die Stichprobenverfahren entfalten können (vgl. Bonner-HdR (2000), § 241 HGB, Rn. 5). Nicht anwendbar ist die Stichprobeninventur bei besonders wertvollen, leicht verderblichen oder unkontrollierbarem Schwund ausgesetzten VG (vgl. HFA 1/1981, WPg 1990, S. 649 (651)). Kommt das Verfahren für die Inventur sog. Konsignationsartikel zu Anwendung, sind einige Besonderheiten zu beachten (vgl. Beck-HdR, A 220 (2021), Rn. 128, m. w. N.).
Rn. 66
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Zu den Vorteilen der Stichprobeninventur zählt die im Vergleich zur Vollinventur merkliche Reduzierung des Erhebungsaufwands. Dies führt gleichsam zu einer Verringerung der Aufnahmezeit und der Bindung von Personalkapazitäten. Friktionen im betrieblichen Ablauf werden durch die Stichprobeninventur reduziert. Eine verbesserte Qualität der Inventurergebnisse ist bei diesem Verfahren auf eine erhöhte Genauigkeit durch den Einsatz von Fachpersonal zurückzuführen, welches ob der geringeren Personalbeanspruchung gezielter eingesetzt werden kann und durch die kürzere Aufnahmezeit weniger individuelle Fehler begeht. Niederschlag findet die erhöhte Qualität in einem geringeren Nichtstichprobenfehler (Mess-, Zähl- oder Übertragungsfehler bzw. Erfassungs- und Inhaltsfehler; vgl. Noodt, ST 1989, S. 319f.; Puzicha-Neubeiser (1997), S. 30; Voelckel, Dynamik im Handel 1994, S. 76ff.). Weiterhin kann im Gegensatz zur Vollaufnahme dieser Fehler bei der Anwendung mathematisch-statistischer Inventurverfahren eine Wahrscheinlichkeit angegeben werden, mit der die Differenz zwischen Schätz- und Istwert ein vorgegebenes Toleranzmaß nicht überschreitet. Durch die Wahl geeigneter Verfahren kann darüber hinaus die Gefahr, dass die Grundgesamtheit durch einen Stichprobenfehler nicht adäquat abgebildet wird, durch entsprechende Verfahren reduziert werden. Grds. Mängel der Lagerorganisation und Lagerbuchführung können durch das überschaubare Datenmaterial tendenziell eher bemerkt werden als bei anderen Verfahren. Die Dokumentation der Verfahrensanwendung kann übersichtlich und vollständig erfolgen und garantiert eine intersubjektive Nachprüfbarkeit. Die Realisierung dieser Vorteile ist dabei stark abhängig von der Eignung der angewandten mathematisch-statistischen Verfahren, welche wiederum von der Beschaffenheit der Grundgesamtheit abhängt. Als weitere Einflussfaktoren sind Lagerorganisation und EDV-Lesbarkeit der Daten zu identifizieren. Der mit zunehmendem Umfang der Grundgesamtheit tendenziell sinkende Auswahlsatz führt dazu, dass die vorgenannten Effizienzvorteile der Stichprobeninventur umso höher ausfallen, desto größer die Grundgesamtheit ist. Einsparungen aus dem Einsatz des Verfahrens können dazu genutzt werden, um etwa dispositiv wertvolle oder durch Schwund belastete Positionen und Artikel öfter zu kontrollieren (vgl. insgesamt Quick, R. 2000, S. 95ff., m. w. N.).
Rn. 67
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Einzelaussagen zu Elementen der Grundgesamtheit können mit der Stichprobeninventur nur schwer gemacht werden, ...