Rn. 1
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die vollständige körperliche Bestandsaufnahme auf den BilSt durch Zählen, Messen, Wiegen gemäß § 240 bildet die Grundform der Inventuraufnahme (vgl. Harrmann, DB 1978, S. 2377ff.). Die Vorschriften zur Inventur in § 240 Abs. 1f. werden durch § 241, der mit "Inventurvereinfachungsverfahren" überschrieben ist, ergänzt. Von diesen Vereinfachungen zur Ermittlung des Mengengerüsts zu unterscheiden sind Vereinfachungen bei der Inventarerstellung (Festbewertung, Gruppenbewertung). Im Gegensatz zum Festwertverfahren nach § 240 Abs. 3 erlauben die Inventurvereinfachungen des § 241 nicht den Verzicht auf die Einzelerfassung (vgl. Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 1). Vereinfachungen für die Bewertung finden sich in § 256 (vgl. HdR-E, HGB § 256). Die in drei Absätzen geregelten Vereinfachungsverfahren zu den Bestandsaufnahmen beziehen sich "nach dem Wortlaut nur auf Aktivposten. Hauptsächlich betreffen sie die Vorräte" (Beck Bil-Komm. (2022), § 241 HGB, Rn. 1; vgl. auch Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 6). Hierunter fallen insbesondere RHB, fertige und unfertige Erzeugnisse sowie Waren. Übrige VG und Schulden sind weitgehend ohne körperliche Bestandsaufnahme erfassbar (vgl. Köhler, StBp 1999, S. 85 (88ff.)). "Für Forderungen und Wertpapiere in Giro-Sammelverwahrung z. B. sind keine Stichprobeninventuren möglich" (MünchKomm. HGB (2020), § 241, Rn. 2; vgl. auch Knief, DStR 2002, S. 54 (56)).
Rn. 2
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Eine sinngemäße Übertragung der Verfahren des § 241 für die Inventur der Schulden wird in Teilen des Schrifttums für zulässig erachtet (vgl. ADS (1998), § 241, Rn. 2, m. w. N.). Für die Bestandsaufnahme passivierter Pensionszusagen etwa kann hier auf die Kommentarliteratur zu § 240 verwiesen werden. Angemerkt sei, dass die vor- oder nachverlegte Stichtagsinventur für die Inventur von Pensionszusagen durch die Finanzverwaltung durch R 6a Abs. 18 Satz 2 EStR (2012) steuerrechtlich zugelassen wird (vgl. Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 7). Andere Teile des Schrifttums lehnen eine grds. handelsrechtliche Ausdehnung der Vereinfachungen auf Schulden ab (vgl. Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 5; GK-HGB (2015), § 241, Rn. 1). Ballwieser verweist auf die Formulierung des § 240 Abs. 4 zur Durchschnittsbewertung, in welcher der Gesetzgeber zwar explizit die Schulden aufgenommen hat, eine Gesetzesänderung in § 241 jedoch trotz mehrfacher Möglichkeit nicht vorgenommen wurde (vgl. MünchKomm. HGB (2020), § 241, Rn. 2).
Rn. 3
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Einen Überblick über die historische Entwicklung der Inventur und deren gesetzlichen Vorschriften liefert Schulze zur Wiesch ((1961), S. 22ff.). Bereits vor ihrer expliziten gesetzlichen Zulassung wurden Inventurvereinfachungen von der kaufmännischen Praxis entwickelt und – sofern neben dem Schrifttum insbesondere vom Berufs### der WP und den Steuerbehörden anerkannt – zur Erfüllung gesetzlicher Regelungen von Inventur und Inventar angewandt (vgl. Kalveram, RKW-Nachrichten 1940/41, S. 104ff.; Frantz/Karsten, WPg 1962, S. 253 (254ff.); Koppmeyer, HMD 1976, Fach 2/1/12, Blatt 1f.). Vor Inkrafttreten des sog. Bilanzrichtlinien-Gesetzes (BiRiLiG) vom 19.12.1985 (BGBl. I 1985, S. 2355ff.) regelten § 39 Abs. 2a, 3 und 4 HGB (a. F.) die handelsrechtlich zulässigen Inventurvereinfachungsverfahren. Es erfolgte eine wörtliche Übernahme bei gleich bleibender Reihenfolge in das geltende Recht (vgl. Bonner-HdR (2000), § 241 HGB, Rn. 1; Staub: HGB (2021), § 241, Rn. 2).
Rn. 4
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Im Falle besonders wertvoller und mit unkontrollierbarem Schwund verbundenen Beständen ist nach HFA 1/1990 (WPg 1990, S. 143ff.) die Anwendung von Inventurvereinfachungsverfahren nicht zulässig.
Rn. 5
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die gesetzlichen Inventurpflichten sind ob ihrer Stellung im Ersten Abschnitt des Dritten Buchs des HGB von allen Kaufleuten zu beachten. Betroffen sind somit alle Einzelkaufleute, PersG und KapG bzw. haftungsbeschränkte PersG i. S. d. § 264a. § 140 AO sieht ebenfalls eine jährliche Verpflichtung zur Bestandsaufnahme (vgl. Spieth (1956), S. 77) für Zwecke der Besteuerung vor. Dies gilt auch für Nichtkaufleute, die nach § 141 AO zur Buchführung und Erstellung einer StB und nicht einer HB verpflichtet sind (vgl. Schoor, BBK 2002, S. 2161 (2162)).
Rn. 5a
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Außerhalb der JA-Erstellung besteht eine Inventurpflicht auch bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Als zulässige Verfahren gelten grds. die Stichtags- und die zeitlich ausgeweitete Stichtagsinventur. In Einzelfällen kann auch auf Inventurvereinfachungsverfahren zurückgegriffen werden (vgl. Beck-HdR, A 220 (2021), Rn. 272).
Rn. 6
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Der AK Ludewig der SG ((1967), S. 9f.) unterscheidet zwischen Inventursystemen und Inventurverfahren (vgl. auch Quick (2000), S. 28f.). Damit ergeben sich unter Beachtung der §§ 240f. folgende Inventursysteme:
(1) |
Stichtagsinventur (als Grundfall); |
(2) |
permanente Inventur (vgl. § 241 Abs. 2); |
(3) |
vor- bzw. nachverlegte Stichtagsi... |