Tz. 12
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Inventur stellt bei der Erstellung des JA eine wesentliche Basis zur Durchführung des buchmäßigen Abschlusses dar. Im Gegensatz zur Bilanz und GuV sind jedoch Vorschriften sowohl materieller als auch formeller Art kaum gesetzlich kodifiziert. Lediglich § 241 enthält einige generelle Hinweise hinsichtlich der Technik der Inventurdurchführung, ohne jedoch spezielle Anforderungen an die Durchführung der Inventur in Abhängigkeit von einzelnen Inventurverfahren bzw. -systemen zu stellen. Den von einer Inventur betroffenen UN werden kaum konkrete Hinweise im Hinblick auf die Inventurdurchführung geliefert. Es ergibt sich daher die Frage, in welcher Form ein UN seine Inventur durchzuführen und welche Anforderungen es bei der Durchführung zu beachten hat.
Im Zusammenhang mit den in § 241 angesprochenen Inventurformen wird vom Gesetzgeber ausdrücklich die Forderung erhoben, dass ein Verfahren zu wählen ist, das den GoB entspricht.
Die Frage ist, ob die GoB als Quelle nur für diese speziellen Inventurformen anzusehen sind oder nicht die Inventur generell diesen Anforderungen genügen muss. Darüber hinaus ergibt sich die Frage, welche Konsequenzen sich in Abhängigkeit von der Gültigkeit der GoB für die zulässigen Inventurformen ergeben (vgl. HdR-E, HGB § 241; zudem HdR-E, HGB § 240, Rn. 83ff.).
Wie die Ausführungen unter HdR-E, HGB § 240, Rn. 7ff., bereits verdeutlicht haben, stellt das Inventar als Ergebnis der Inventur ein bedeutendes Kontrollinstrument dar. Es dient der Überprüfung der durch die buchhalterische Tätigkeit erfassten laufenden Geschäftsvorfälle. Die Inventurergebnisse werden im Zusammenhang mit diesem Kontrollprozess in die Funktion des Maßstabswerts erhoben, während die Ergebnisse der buchhalterischen Erfassung als zu überprüfende Werte angesehen werden. Aus dieser Rangstellung ergibt sich die Schlussfolgerung, dass das Inventar und somit auch die Inventur zumindest den gleichen Anforderungen genügen müssen, die für die buchhalterische Erfassung der laufenden Geschäftsvorfälle gelten.
Bezüglich der buchhalterischen Erfassung wird unstreitig von der Gültigkeit der GoB ausgegangen. Es sind daher die GoB als Quelle für die Anforderungen sämtlicher Inventursysteme und -verfahren anzusehen. Begründet durch den Maßstabscharakter des mit Hilfe der Inventur bestimmten Mengengerüsts ist darüber hinaus davon auszugehen, dass die GoB als Mindestanforderung hinsichtlich der Inventur zu verstehen sind und in keinem Fall unterschritten werden dürfen. Es ist daher erforderlich, die allg. anerkannten GoB für Zwecke der Inventur zu operationalisieren.
Tz. 13
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Notwendigkeit der speziellen Operationalisierung verdeutlicht insbesondere folgende Überlegung. Die innerhalb eines GJ durchzuführende buchhalterische Tätigkeit führt letztlich zu der Bilanz und der GuV, zwei Bestandteilen des von einem UN zu erstellenden JA. Neben den expressis verbis gesetzlich kodifizierten Vorschriften sind sowohl bei der innerjährigen Buchführung als auch bei der Erstellung von Bilanz und GuV die GoB zu beachten (vgl. § 238 Abs. 1 Satz 1 und § 243 Abs. 1). Allein schon aufgrund der Tatsache, dass sich die Buchführung auf die Verarbeitung einer Vielzahl von Geschäftsvorfällen erstreckt, während die Bilanz und GuV lediglich das verdichtete Ergebnis der Buchführungstätigkeit darstellen, wird deutlich, dass die generellen GoB für diese beiden Zwecke gesondert zu operationalisieren sind. Man spricht daher auch von den GoB (i. e. S.), wenn die aus den GoB abzuleitenden operationalen Anforderungen an die Buchführung gemeint sind, während man von GoBi spricht, wenn man die für die Bilanz und GuV operationalisierten GoB anspricht (vgl. auch HdR-E, HGB § 241, Rn. 8).
Tz. 14
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Analoges gilt im Hinblick auf die Inventur und das Inventar. Im Vergleich zur innerjährigen Buchführung und Bilanz bzw. GuV liegen jedoch veränderte Zwecksetzungen dieser Rechenschaftslegungsinstrumente vor. Diese veränderten Zwecksetzungen machen die gesonderte spezielle Operationalisierung der GoB erforderlich. Die Inventur kann wegen des Tätigkeitsmerkmals dieses Begriffs mit der Buchführung verglichen werden, während das Inventar aufgrund seines Ergebnischarakters mit der Bilanz vergleichbar ist. Inventur und Inventar sind jedoch aufgrund eines unmissverständlich existierenden und offensichtlichen Zweck-Mittel-Verhältnisses in einem wesentlich engeren Zusammenhang zu sehen als Bilanz und GuV auf der einen Seite und Buchführung auf der anderen Seite. Aus diesem Grund wird allg. nicht mehr zwischen Grundsätzen für die Inventur bzw. Grundsätzen für das Inventar unterschieden. Es wird vielmehr allg. von den Grundsätzen ordnungsmäßiger Inventur (GoI) gesprochen.
Die GoB (i. w. S.) sind somit in drei Richtungen zu operationalisieren: nach den GoBi, den GoB (i. e. S.) und den GoI.