Prof. Dr. Rolf U. Fülbier, Florian Federsel
1. Zweck der gesetzlichen Regelung
Rn. 30
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Das Gebot der Aufstellung eines JA für den Schluss eines jeden GJ (vgl. §§ 242, 264 Abs. 1) bewirkt eine rechnerische Aufspaltung der gesamten Lebensdauer eines UN in einzelne Abrechnungsperioden (GJ). Die kontinuierliche Erfassung der Geschäftsvorfälle und die hiermit verbundene laufende Fortschreibung der Bestandskonten werden zum Ende einer jeden Periode durch einen Abschluss aller Bestandskonten künstlich unterbrochen, um mittels einer Zusammenfassung der Kontensalden die erforderliche JA-Bilanz erstellen zu können.
Rn. 31
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Um zu gewährleisten, dass im Ergebnis keine Abweichungen zwischen der Summe der einzelnen Periodenrechnungen und einer auf die gesamte Lebensdauer des UN bezogenen Totalrechnung auftreten, d. h., um sicherzustellen, dass sämtliche Geschäftsvorfälle, die sich während der Lebensdauer des UN ereignen, erfasst werden, muss eine lückenlose Fortführung der Buchführung nach der Bilanzaufstellung gewährleistet sein. Insbesondere ist zu verhindern, dass Zu- bzw. Abgänge oder Wertveränderungen von VG und Schulden und hiermit verbundene Aufwendungen und Erträge zwischen zwei Abrechnungsperioden entstehen, ohne nach den Regeln der doppelten Buchführung erfasst und einer Periode zugeordnet zu werden. Zu diesem Zweck verlangt § 252 Abs. 1 Nr. 1, dass die "Wertansätze in der Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahrs [...] mit denen der Schlußbilanz des vorhergehenden Geschäftsjahrs übereinstimmen." Dieses Gebot hat zur Konsequenz, dass die Wertansätze der einzelnen – in die Schlussbilanz eingegangenen – VG, Schulden und RAP unverändert in die neue Rechnung zu übernehmen sind (vgl. auch ADS (1995), § 252, Rn. 12).
Rn. 32
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Die Einhaltung des Grundsatzes der Wertansatzidentität führt zur sog. Zweischneidigkeit der Bilanz: Ergebnisänderungen infolge der Inanspruchnahme gesetzlich zulässiger höherer oder niedrigerer Wertansätze in einer Periode stehen entgegengesetzte Erfolgswirkungen in der bzw. den folgenden Periode(n) gegenüber (vgl. Knobbe-Keuk (1993), S. 46; Biergans (1992), S. 176). Somit besteht die Möglichkeit, durch die Ausnutzung von Bewertungswahlrechten oder -spielräumen interperiodische Ergebnisverlagerungen vorzunehmen (das gilt analog für Ansatzwahlrechte und -spielräume); die Summe aller Periodenergebnisse über die gesamte Lebensdauer eines UN bleibt hiervon jedoch unbeeinflusst. § 252 Abs. 1 Nr. 1 sichert die Erfassung des Totalergebnisses eines UN (nach Mindermeinung allenfalls Nebenzweck; dominierendes Ziel sei die Sicherstellung einer periodengerechten Gewinnermittlung im Interesse einer Vergleichbarkeit der JA; vgl. Kammann (1988), S. 166ff.).
2. Eröffnungsbuchungen zu Beginn des Geschäftsjahrs
Rn. 33
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
Die sprachliche Fassung des § 252 Abs. 1 Nr. 1 ist im Hinblick auf die Formulierung "Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahrs" missverständlich. Ein Kaufmann i. S. d. HGB ist keineswegs verpflichtet, zu Beginn eines jeden GJ eine Eröffnungsbilanz zu erstellen. Eine solche Verpflichtung besteht allein zu Beginn seines Handelsgewerbes (vgl. § 242 Abs. 1 Satz 1). Demzufolge kann § 252 Abs. 1 Nr. 1 nicht dahingehend interpretiert werden, dass zu Beginn eines GJ eine im Vergleich zur Schlussbilanz des vorhergehenden GJ identische Eröffnungsbilanz aufzustellen ist. Dasselbe gilt auch für das (seitenverkehrte) Eröffnungsbilanzkonto, das je nach technischer Ausfertigung des jeweiligen Buchführungssystems zur Anbuchung sämtlicher Bestandskonten zu Periodenbeginn möglich ist. In buchungstechnischer Hinsicht ist letztlich nur sicherzustellen, dass die in die Schlussbilanz übertragenen Salden sämtlicher Bestandskonten zu Beginn der neuen Rechnungsperiode als Anfangsbestände wieder auf Bestandskonten übernommen (= vorgetragen) werden. Der Begriff der "Eröffnungsbilanz des Geschäftsjahrs" ist somit als die Gesamtheit der Saldenvorträge auf den Bestandskonten zu verstehen (vgl. i. d. S. auch ADS (1995), § 252, Rn. 11). Der Grundsatz der Wertansatzidentität ist vor diesem Hintergrund gewahrt, wenn die Eröffnungsbuchungen die Gesamtheit der aus der Schlussbilanz vorzutragenden Salden erfassen. Dies ist der Fall, wenn die Summe der aktivischen Saldenvorträge gleich der Summe der passivischen Saldenvorträge ist und diese der BS der vorhergehenden Schlussbilanz entspricht. Hierbei ist es unerheblich, ob der Kontenplan des neuen GJ mit dem des abgelaufenen GJ übereinstimmt. Abweichungen zwischen den einzelnen Kontenplänen stehen der Vollständigkeit der Saldenvorträge nicht entgegen; möglicherweise erschweren sie aber deren Prüfung. Infolgedessen liegt ein Verstoß gegen den Grundsatz der Wertansatzidentität nicht schon dann vor, wenn die Gliederung der Bestandskonten im neuen GJ von der Kontengliederung im abgelaufenen GJ oder der Bilanzgliederung abweicht.
3. Identität des Mengengerüsts
Rn. 34
Stand: EL 32 – ET: 6/2021
§ 252 Abs. 1 Nr. 1 verlangt dem Wortlaut nach eine Identität der Wertansätze. Er unterscheidet sich somit von Art. 6 Abs. 1 lit. e) der Bilanz-R (zuvor: Art. 31 Abs. 1 lit. f) der 4...