Dr. Robert Weber, Julia Sieber
Tz. 2
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Nach § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG haben Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Eine Pflichtverletzung scheidet jedoch von vornherein aus, soweit sich unternehmerische Entscheidungen i. R.d. in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geregelten "Business Judgement Rule" bewegen. Neben dieser Sorgfaltspflicht müssen Vorstandsmitglieder ihre organschaftlichen Treuepflichten einhalten. Als eine Ausprägung dieser Treuepflichten stellt sich die in § 93 Abs. 1 Satz 3 AktG eigenständig geregelte Verschwiegenheitspflicht dar. Eine Erweiterung oder Einschränkung der in § 93 AktG genannten Pflichten durch Satzung oder Anstellungsvertrag ist aufgrund des zwingenden Charakters der Vorschrift nicht möglich. In Betracht kommt allenfalls eine Konkretisierung dieser Pflichten (vgl. MünchKomm. AktG (1973), § 93, Rn. 14; Hölters-AktG (2022), § 93, Rn. 133).
Tz. 3
Stand: EL 36 – ET: 06/2022
Die Pflichtenbindung des § 93 AktG greift nur im Zusammenhang mit dienstlichem Handeln eines Vorstandsmitglieds ein. Einen Zusammenhang mit dienstlicher Tätigkeit wird man ablehnen müssen, wenn das Vorstandsmitglied in einer Weise handelt, dass die Handlung auch von einem Gesellschaftsfremden in gleicher Weise hätte vorgenommen werden können, so z. B. bei privaten Fahrten mit dem Dienstwagen. Im Einzelfall, wie z. B. bei zusätzlichen Verträgen zwischen einem Vorstandsmitglied und der Gesellschaft über Lieferungen oder bei alltäglichen Verkehrspflichtverletzungen innerhalb des UN, kann die Abgrenzung schwierig sein (vgl. AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 57; KK-AktG (2010), § 93, Rn. 65). Nur ausnahmsweise wirkt die Pflichtenbindung des § 93 AktG in den privaten Bereich hinein. So hat ein Vorstandsmitglied z. B. herabsetzende Äußerungen über die Gesellschaft auch im privaten Bereich zu unterlassen (vgl. Fleischer, WM 2003, S. 1045 (1051); AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 239; KK-AktG (2010), § 93, Rn. 98; MünchKomm. AktG (2019), § 93, Rn. 126f.).
Tz. 4
Stand: EL 42 – ET: 05/2024
Ist der in Anspruch Genommene in den Leitungsorganen verschiedener Gesellschaften tätig, so ist die Pflichtenbindung zwischen den verschiedenen Gesellschaften getrennt zu betrachten. Die Pflichterfüllung gegenüber der einen Gesellschaft schließt nicht unmittelbar eine Pflichtverletzung gegenüber einer anderen Gesellschaft aus, sondern ist jeweils selbständig zu prüfen. Bei Vertrags- und Eingliederungskonzernen wird allerdings § 93 AktG für die Vorstandsmitglieder der herrschenden Gesellschaft durch §§ 309 und 323 Abs. 1 AktG ergänzt und für die Vorstandsmitglieder der beherrschten Gesellschaft weitgehend durch §§ 310 und 323 Abs. 1 AktG verdrängt (vgl. Hölters-AktG (2022), § 310, Rn. 2; KonzernR (2019), § 310 AktG, Rn. 3). Grds. getrennt zu betrachten ist auch die Pflichtenbindung in den Fällen, in denen ein Vorstandsmitglied einer AG in ein beherrschtes UN als Organmitglied abgeordnet wird. Entscheidend für eine Haftung ist dann, ob sich die Pflichtverletzung zugleich auch als Verstoß gegen die Pflichten im Verhältnis zum herrschenden UN darstellt. Dies wird häufig der Fall sein, insbesondere dann, wenn sich die Pflicht als Vorstandsmitglied des herrschenden UN, das beherrschte UN zu überwachen, mit der Leitungspflicht als Organmitglied des beherrschten UN deckt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.1996, 6 U 11/95, ZIP 1997, S. 27 (31f.); AktG-GroßKomm. (2015), § 93, Rn. 204ff.).