Prof. Dr. Michael Dusemond, Dr. h.c. Armin Pfirmann
I. Vorbemerkungen
Rn. 416
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Während das HGB durch den Grundsatz des Gläubigerschutzes geprägt ist, verfolgen die IFRS das Ziel, den Investoren entscheidungsnützliche Informationen zur Verfügung zu stellen. Diese unterschiedlichen Zielsetzungen zeigen sich in einigen, z. T. wesentlichen Bilanzierungs- und Bewertungsunterschieden (vgl. zu den JA-Zwecken nach HGB und IFRS Küting/Lauer, DB 2011, S. 275ff., m. w. N.; hierzu sowie zu der Eignung der IFRS für Auslegungszwecke des HGB im Ergebnis auch HdR-E, Kap. 2, Rn. 36ff.).
Der vielfach kritisch beurteilte und größte Unterschied der IFRS zu den RL-Vorschriften des HGB wird zumeist in der Fair Value-Bewertung gesehen, die für bestimmte Sachverhalte eine Bewertung zu Marktpreisen vorsieht respektive optional zulässt. Allerdings ist eine Fair Value-Bewertung auch dem HGB nicht gänzlich fremd. So sieht u. a. § 253 eine Bewertung nach dem (beizulegenden) Zeitwert für als Deckungsvermögen deklarierte VG vor (vgl. bspw. HdR-E, HGB § 253, Rn. 104ff.). Des Weiteren spielt der Zeitwert in Form des beizulegenden Werts nach HGB v.a. eine bedeutende Rolle bei der Beantwortung der Frage, ob eine außerplanmäßige Abschreibung angezeigt ist. Der Kern der Kritik dürfte daher auf diejenigen Sachverhalte zurückgehen, in denen nach IFRS eine Bewertung oberhalb der (fortgeführten) AHK möglich oder sogar geboten ist. Denn oftmals lassen sich Marktpreise nicht einfach ablesen, sondern müssen anhand von Modellen – mitunter aufwendig – hergeleitet werden, wodurch mehr Raum für Bilanzpolitik besteht.
II. Konzeptionelle Bewertungsunterschiede
1. Anschaffungs- und Herstellungskosten
Rn. 417
Stand: EL 44 – ET: 12/2024
Analog zum HGB ist bei den Vorschriften der IFRS zwischen der erstmaligen Bewertung eines Vermögenswerts, d. h. der Zugangsbewertung, und der Fortführung dieses Bewertungsansatzes in der Folgebewertung zu differenzieren. Den Zugangswert erworbener Vermögenswerte bilden die AK (zu den Besonderheiten bei Finanzinstrumenten nach IFRS 9 vgl. HdR-E, HGB § 253 Rn. 455ff.); vom UN hergestellte Vermögenswerte dagegen sind mit ihren HK einzubuchen (vgl. zu den AHK nach HGB sowie nach IFRS HdR-E, HGB § 255, Rn. 7ff., 125ff. und 444ff.). Indes unterscheiden die IFRS vielfach nicht explizit zwischen diesen beiden Wertmaßstäben, sondern sprechen übergreifend bspw. von "cost" i. S. d. historischen oder fortgeführten Zugangswerte. Zudem beinhalten die IFRS (anders als das HGB) keine allg.-gültige AK- oder HK-Definition. Vielmehr enthalten unterschiedliche Standards einzelfallbezogene Regelungen (vgl. etwa IAS 2.10ff.; IAS 16.15ff.; IAS 38.18ff.; IAS 40.20ff.).
Rn. 418
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Die AK nach IFRS bilden (wie nach HGB) den originären Bewertungsmaßstab für von Dritten erworbene Vermögenswerte und umfassen alle Aufwendungen, die geleistet werden, um einen Vermögenswert zu erwerben und in einen betriebsbereiten Zustand zu versetzen, sofern sie dem Vermögenswert direkt zugeordnet werden können. Zu den AK gehören somit auch direkt zuordenbare Anschaffungsnebenkosten und nachträgliche AK; Anschaffungspreisminderungen sind abzusetzen (vgl. hierzu nur Baetge/Kirsch/Thiele (2019), S. 219ff.; Coenenberg/Haller/Schultze (2018), S. 114ff.; Pellens et al. (2017), S. 425ff.). Insoweit existieren bis auf die Regelungen des IFRS 9 für Finanzinstrumente keine wesentlichen Unterschiede zu den handelsrechtlichen Regelungen.
Die AK von Sachanlagen können indes zwei wesentliche Abweichungen beinhalten. So sind nach IFRS zum einen auch bei Anschaffungsvorgängen anfallende FK-Kosten stets aktivierungspflichtig, wenn der erworbene Vermögenswert ein "qualifying asset" darstellt (vgl. zur Definition IAS 23.5) und die FK-Kosten dem Erwerb zugeordnet werden können (vgl. IAS 16.22f. i. V. m. IAS 23.8ff.). Die Aktivierung von FK-Kosten bei einem Anschaffungsvorgang ist hingegen nach HGB nur unter strengen Voraussetzungen möglich (vgl. HdR-E, HGB § 253, Rn. 21).
Zum anderen sind nach IFRS die am Ende der ND anfallenden Rückbau- und Wiederherstellungsverpflichtungen mit ihrem Barwert als AK-Bestandteil in Höhe der hierfür zu passivierenden Rückstellung nach IAS 37 erfolgsneutral zu aktivieren (vgl. IAS 16.16(c)) und über die ND abzuschreiben (vgl. Pellens et al. (2017), S. 425f.). Des Weiteren ist die sonstige Rückstellung nach IAS 37 in Folgeperioden aufzuzinsen (vgl. IAS 16.18 sowie Coenenberg/Haller/Schultze (2018), S. 116). Die Aufzinsung der Rückstellung ist – anders als Anpassungen des Erfüllungsbetrags – nicht durch eine Korrektur der AK, sondern erfolgswirksam zu erfassen (vgl. IFRIC 1). Im Gegensatz dazu werden nach HGB Rückstellungen für Rückbau- und Wiederherstellungsverpflichtungen ratierlich aufwandswirksam in Form einer Ansammlungsrückstellung gebildet (vgl. nur HdR-E, HGB § 249, Rn. 131ff. und 350 Nr. (1) und (22), m. w. N., sowie IDW RS HFA 34 (2015), Rn. 18ff.).
Rn. 419
Stand: EL 30 – ET: 5/2020
Die HK nach IFRS sind der originäre Bewertungsmaßstab für alle vom UN hergestellten und am BilSt im wirtschaftlichen Eigentum des UN befindlichen Gegenstände des AV und UV. Sie umfassen...