Prof. Dr. Peter Oser, Dipl.-Ök. Jochen Holzwarth
Rn. 18
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
"Führen besondere Umstände dazu, dass der Jahresabschluss ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild im Sinne des Satzes 1 nicht vermittelt, so sind im Anhang zusätzliche Angaben zu machen" (§ 264 Abs. 2 Satz 2; wegen Einzelheiten zum Inhalt vgl. HdR-E, HGB § 264, Rn. 47). Die Angabepflicht besteht für KapG und PersG i. S. v. § 264a, für Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute (vgl. § 340a Abs. 1) sowie Versicherungs-UN (vgl. § 341a Abs. 1). Diese Angabepflicht ist von Kleinst-KapG einschließlich Kleinst-PersG i. S. v. 264a unter der Bilanz zu machen, wenn sie gemäß § 264 Abs. 1 Satz 5 keinen Anhang aufstellen (vgl. § 264 Abs. 2 Satz 4).
Das "entsprechende Bild im Sinne des Satzes 1" bezieht sich auf den nach den GoB aufgestellten JA mit den im Gesetz bestimmten Angaben des Anhangs. Man darf bei der Beurteilung dieser Generalnorm nicht vergessen, dass das geforderte Bild "immer nur innerhalb bestimmter Konventionen gegeben werden kann und im Hinblick auf die verschiedenen Zwecke der Rechnungslegung auch andere, teilweise dem Gesichtspunkt des sicheren Einblicks zuwiderlaufende Grundsätze, zu beachten sind" (Luik (1981), S. 53f.). So enthalten die GoB auch Bestimmungen, die durchaus geeignet sind, den Einblick in die VFE-Lage einzuschränken (z. B. AK-Prinzip). Der Rat und die KOM der EU gingen in klarer Erkenntnis dieser Zusammenhänge trotzdem davon aus, dass es "wegen des zwingenden Charakters und des Versuchs einer erschöpfenden Regelung der Rechnungslegung normalerweise ausreicht, die Richtlinie anzuwenden, damit das gewünschte, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Bild entsteht. Der Maßstab des Artikels 2 ist daher nur heranzuziehen [...], wenn Lücken zu füllen, im Einzelfall auftretende Widersprüche verschiedener Grundsätze zu klären oder bestimmte Rechtsbegriffe festzulegen sind oder wegen Besonderheiten im Einzelfall zu prüfen ist, ob das verlangte Maß an Information noch erreicht wird oder zusätzliche Angaben [...] erforderlich sind, weil die Beachtung der Richtlinienvorschriften nicht ausreicht, um [das geforderte Bild, d.Verf.] zu geben" (Biener, BFuP 1979, S. 1 (3f.).
Rn. 19
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Wenn aber das Gesetz die Grundsätze der RL im Einzelnen bestimmt, es stille Reserven auch in der HB zulässt und sich die Rspr. bei der Ermittlung der GoB (in Übereinstimmung mit der h. M.) zugunsten der teleologisch-deduktiven Methode entschieden hat (vgl. BFH, Urteil vom 31.05.1967, I 208/63, BStBl. III 1967, S. 607ff.; Döllerer, DStZ 1981, S. 311 (312)) und der Rat wie auch die KOM der EU die Folgen aus diesem Grundkonzept akzeptiert haben, so kann der JA "nur" ein den GoB entsprechendes Bild der VFE-Lage gewähren. Daraus folgt, dass "der Inhalt der Generalklausel [...] und der Inhalt der Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung simultan zu bestimmen sind" (Moxter, BB 1982, S. 1030). Mehr als Vergleichbarkeit ist auch durch den Anhang nicht erreichbar. Diese Instrumente können nicht etwa ausreichend über den absoluten Stand der wirtschaftlichen Lage informieren, d. h., sie "können weder Kreditwürdigkeitsprüfungen noch Unternehmensbewertungen ersetzen" (Moxter, BB 1982, S. 1030 (1032); zum Zweck der Generalklausel ebenso wie zur inhaltlichen Dimension der wirtschaftlichen Lage vgl. auch Selchert, BB 1993, S. 753ff.; Lange, WPg 1991, S. 369ff.).
Rn. 20
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Die Generalnorm hat indes keinen Vorrang vor den Einzelbestimmungen. Für das deutsche (Bilanz-)Recht gilt der Grundsatz "lex specialis derogat legi generali". Danach müssen die Einzelbestimmungen der RL stets beachtet werden (z. B. das AK-Prinzip in Zeiten einer Inflation), auch wenn die Generalnorm eine andere Bilanzierung als wünschenswert erscheinen lässt (z. B. Tageswertprinzip).
Rn. 21
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Aus den unter HdR-E, HGB §§ 284–288, Rn. 3, dargelegten Gründen ist zu beachten, dass unter Einbeziehung des Anhangs der JA – vereinfachend formuliert – "nicht ein gutes Bild vermitteln darf, wenn es der Unternehmung schlecht geht, aber auch nicht ein schlechtes oder leidliches, wenn es ihr gut geht" (Leffson, WPg 1980, S. 289), auch wenn die Anwendung der Einzelbestimmungen eine solche Zeichnung des Bilds zulassen würde (vgl. i. d. S. auch Niehus (1982), S. 485). Die Generalnorm ist insoweit Wegweiser bei der Anwendung der Einzelbestimmungen (vgl. HdR-E, HGB § 264, Rn. 43f.).
Rn. 22
Stand: EL 33 – ET: 09/2021
Nur "besondere Umstände" können dazu führen, dass das geforderte Bild nicht vermittelt wird. Als solche können nur Umstände angesehen werden, die nicht zu den "normalen" Umständen gehören (wie Konjunkturschwankungen, Bildung stiller Reserven durch Anwendung des AK-Prinzips, Gewinnverschiebungen aus dem Realisationsprinzip etc.). Jedoch können besondere Umstände bei Änderungen von Bewertungsgrundlagen, Ausübung von Bilanzierungs- und Bewertungswahlrechten, der Inanspruchnahme von Ermessensspielräumen und sachverhaltsgestaltenden Maßnahmen vorliegen, wenn dadurch ...